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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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»Die gab’s immer schon da. Warum sollten die dich anstarren?«
    »Nee, nee. Aber nich so, Aller! Nich so!« Er sog den letzten Rest des Joints auf und starrte mich mit einem glasigen Blick an. Was sollte ich auf sein wirres Gerede antworten? »Frag ma Michi, Aller. Der hat das auch gesehen!«
    Fritz redete weiter, doch er schien allmählich gar nicht mehr mit mir zu reden. Seine Augen stierten ins Leere. Ich stand auf und ging, ohne dass Fritz es zu bemerken schien. Ich ging zu Michi, Fritz’ Nachbarn eine Treppe tiefer. Aber niemand öffnete. Dann ging ich zu Toni in die Eisdiele und fragte ihn, ob er etwas mitbekommen habe. Tonis Urteil war eindeutig: »Der dreht völlig durch. Keine Ahnung, was er da erzählt. Hab ich schon gehört, aber ich kriege immer nur mit, wenn er wieder rumschreit auf der Straße. Ich glaub, der verliert den Verstand. Wegen der Drogen und so.« Ich fuhr nach Hause. Was sollte ich tun? Fritz und sein seltsames Gefasel gingen mir nicht aus dem Kopf.

    Die Sonne schien. Die Luft war warm. St. Pauli erstrahlte. Das erste Mal seit Wochen hatte ich gute Laune. Bei Fritz hatte ich mich nicht mehr gemeldet. Ich wusste einfach nicht, wie ich ihm hätte begegnen können. Doch er ging mir nicht aus dem Kopf. War ich zu feige, ihm zu helfen? Oder war ich tatsächlich so hilflos, wie ich mich fühlte angesichts dessen, was aus meinem Freund geworden war? Aber noch hatte ich ihn nicht aufgegeben, ich würde mich den Dämonen stellen, die Besitz von ihm ergriffen hatten. Und ich würde sie vertreiben.
    Ich machte mich auf den Weg zu ihm nach Eppendorf. Der warme Wind wehte um mein Gesicht. Ich fühlte mich leicht wie seit langem nicht mehr. Doch je näher ich seinem Haus kam, desto stärker wurde die Angst in mir, und ein dunkler Schleier legte sich über meine Gedanken. Da stand ich nun vor seiner Tür. Ich klingelte. Als sich die Tür öffnete, war es schlimmer als in meinen dunkelsten Befürchtungen: Vor mir stand ein blasser, dünner Mann mit eingefallenen Wangen. Seine trüben Augen waren umrahmt von dunklen Ringen. Seine Schultern hingen schlaff. Die rechte Hand zitterte. Traurigkeit überfiel mich.
    »Aller«, begrüßte mich Fritz. »Ich kann nicht mehr schlafn.«
    »Geh mal zum Arzt«, sagte ich.
    Er schwieg, sein starrer Blick ging durch mich durch. Er stand einfach nur da, hielt sich am Türknauf fest.
    »Was is ’n jetzt?«, hakte ich nach.
    »Warte, Aller! Ich erzähl dir was.« Er hustete. Sein Atem roch nach Schnaps. »Ich hab mit ’nem Anwalt gesprochen. Die checken hier meine Post, und andauernd klingelt jemand. Wenn ich aufmache, ist niemand da. Ich kann nicht mehr vor die Tür gehen. Die verfolgen mich. Die verfolgen mich, die wollen mich umbringen.«
    Er hatte die Augen weit aufgerissen. Fritz war auf dem Weg in den Wahnsinn.
    »Ich hab … ich hab«, stammelte er weiter. »Ich hab dem Anwalt das erzählt, und der meinte: Pass mal auf, Fritz! Die wollen dich nicht töten, die wollen dich kirre machen, damit sie dich wegschließen können, inne Klapse.«
    Ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte. Aus lauter Verlegenheit fiel mir nur ein: »Dann lass dich nich kirre machen, Aller!« Fritz aber gab keine Ruhe. »Die haben meine Krankenakte, und da steht ja drin, dass ich schon dreimal wegen Atemnot den Krankenwagen gerufen habe und da nichts festgestellt werden konnte. Jetzt steh ich da wie ’n Geisteskranker.« Sein Blick war plötzlich klar. Er sah mich traurig an. Am liebsten hätte ich ihn umarmt. Aber irgendetwas hielt mich zurück.
    Warum sollte jemand Fritz kirre machen wollen? Wer? Die Stiernacken sicher nicht. Die würden ihm einfach nur ordentlich eins aufs Maul geben. Fritz griff nach meiner Schulter.
    »Michel, der Anwalt hat mir hier ’ne Nummer gegeben, von ’nem Journalisten, der den Barmbeker Strahlenskandal aufgedeckt hat, ich soll mich mit ihm treffen.«
    Strahlenskandal? Jetzt wurde mir das Ganze wirklich zu wirr. »Aha, okay«, raunte ich. In der Hoffnung, dass Fritz endlich still sein würde, einfach nur still. Er nahm einen kräftigen Schluck von dem Bier in seiner Hand. Er starrte mich an. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste weg, sonst würde ich auch noch verrückt werden. Ich verabschiedete mich hilflos und verlegen, klopfte ihm auf die Schulter: »Das wird schon wieder. Reiß dich zusammen.« Es war eine der Floskeln, die sich die Männer auf St. Pauli sagten, wenn niemand mehr weiterwusste. Fritz stand nur da, sagte nichts und starrte mir
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