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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles
Autoren: Jaume Sanllorente
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heute noch muss ich lächeln, wenn ich an die Szene denke. Dieser Mann konnte auf meine Hilfe zählen. Wir hatten beide einen neuen Freund gewonnen.

16
    Rückkehr ins Leben

    Ein Großteil der Arbeit, um die Lebensqualität der
Leprakranken zu verbessern, besteht darin,
dafür zu sorgen, dass sie eine bessere Position
in der Gesellschaft erhalten.
    RAMASWAMI GANAPATI

    Innerhalb kurzer Zeit hatte ich mehrere schwere Asthmaanfälle. Die Ärzte rieten mir dringend, weniger zu arbeiten.
    Während meines Aufenthalts im Holy Spirit Krankenhaus im Stadtteil Andheri erkannte mich eine Frau und trat an mein Bett. Sie erzählte mir von einem Bekannten, der in einem Slum lebte und in einer Notlage war, weil er seine Arbeitsstelle verloren und zwei Kinder zu ernähren hatte.
    Leider musste ich sie - zunächst - abweisen, denn es gibt so viele Bedürftige in Bombay und unsere Organisation verfügt nur über begrenzte Mittel. Abzuweisen trainierte ich mir aus Not an. Ich musste im Laufe der Zeit viele verzweifelte Mütter aus
Kamathipura abweisen, die mir ihre Babys in die Arme drücken wollten, damit ich sie aus dem Slum wegbrachte.
    Ich sagte damals aber auch aus Prinzip nein, denn im Prinzip klagte ich seit Wochen darüber, dass sich viel zu viel Arbeit auf meinem Schreibtisch türmte. Das heißt: Ich wusste, dass wir dringend jemanden brauchten, der uns beim monatlichen Schlangestehen in der Bank sowie einigen anderen Angelegenheiten unterstützte.
    »Schicken Sie Ihren Bekannten bei mir vorbei«, sagte ich schließlich zu der Frau, wobei ich die Sauerstoffmaske vom Gesicht entfernte - froh darüber, dass ich in drei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden würde.
    Drei Tage später stellte sich tatsächlich ein schmächtiger Mann mit Schnurrbart bei mir zu Hause vor. Er hieß Vinay und war bereit, für uns zu arbeiten, damit er seine beiden Kinder ernähren konnte.
    Seither ist mir Vinay nicht mehr von der Seite gewichen, hat nie Anlass zur Klage gegeben.
    Eine Journalistin hat mich einmal gefragt:
    »Wann werden die Unberührbaren in Indien für sich selbst sorgen können?«
    Ich antwortete mit einer Gegenfrage:
    »Wann werden wir erlauben, dass sie es können?«
    Vinay ist das beste Beispiel für Eigenständigkeit. Ein Mann, der sich mit Müh und Not ein Paar
Schuhe leisten konnte, in einer Baracke hauste und nie die Möglichkeit gehabt hatte, lesen und schreiben zu lernen, konnte jetzt eine Tätigkeit ausüben, die weit über das Müllsammeln hinausging. Heute weiß er geschickt mit Behörden und Ämtern zu verhandeln und erledigt die Verwaltungsarbeiten perfekt.
    Schon lange beschäftigte ich mich mit den Leprakranken, die am Bahnhof Vasai Road lebten, von wo ich oft den Zug in die Elendsviertel nahm. Es gab sehr viele Leprakranke, aber irgendwie schien die Welt diese Krankheit vergessen zu haben - als wäre sie längst von der Erdoberfläche verschwunden und könne nie mehr wiederkehren.
    Zwei Jahre zuvor hatte ich das erste Mal eine Leprastation gesehen. Sie lag nur wenige Kilometer vom Waisenhaus entfernt. Obwohl ich mir mittlerweile ein recht dickes Fell angeeignet hatte, mit den Gegebenheiten in der Stadt vertraut war, wurde mein Besuch dort zum einschneidenden Erlebnis.
    Es war gar nicht so sehr das Aussehen der Erkrankten, das mich berührte, sondern ihre vollkommene Einsamkeit, eine Verlassenheit, die ich in ihren Herzen spürte. Besonders traurig machte mich der Anblick einiger sehr junger Patienten, die mit leeren Augen in völliger Isolation von der Außenwelt leben mussten. Als ich die Station betrat, beschlich mich ein derart seltsames Gefühl, wie selten zuvor: Ich fühlte mich wie in einer anderen Welt,
einer Welt ohne Leben und ohne Tod, die weder Himmel noch Hölle war. Es mutete an wie eine Art Limbus, in dem düsteres Schweigen herrschte.
    In dem großen Saal waren zweireihig Metallbetten aufgebaut. In einem der Betten lag ein Mann, dem die Krankheit das Gesicht zerstört hatte - die feuchten Augen darin beobachteten mich.
    »Wer ist der Herr dort?«
    »Sein Name ist Kunal, er ist 13 Jahre alt. Seine Eltern haben ihn ausgesetzt. Als wir ihn fanden, war die Krankheit schon weit fortgeschritten. Doch wie es scheint, konnten wir das Fortschreiten der Lepra aufhalten. Er bekommt eine multimedikamentöse Therapie.«
    »Eine multimedikamentöse Therapie«, wiederholte ich und merkte dabei, wie unwissend ich war. Ich war erstaunt darüber, wie schlimm die Krankheit das Gesicht des Jungen entstellt hatte -
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