Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren
Autoren: Wolfgang Brenner
Vom Netzwerk:
sah, was sie mit ihrem Zauberstab anrichtete. Sie
     räumte bereits den Tisch ab, sie musste in die Küche zurück. In der Schiebetür wandte sie sich, in jeder Hand einen Teller,
     noch mal um.
    »Fühl dich wie zu Hause!«
    Ich habe noch nie viel mit diesem Satz anfangen können. Im Gegenteil, er bewirkte bei mir, dass ich mich auf der Stelle verkrampfte.
     Ich sprang auf und lief im Zimmer umher, um ruhiger |10| zu werden. Wer weiß, was dir noch bevorsteht, dachte ich. Du kannst nicht den ganzen Abend dasitzen wie ein Ölgötze. Du siehst
     doch, welche Mühe sie sich gegeben hat.
    Vielleicht kommt er überraschend zurück, fiel mir plötzlich ein. Der Bürgermeister betritt sein Esszimmer, und ich sitze da,
     esse von seinem Teller, trage seine Pantoffeln, habe seine Frau auf dem Schoß und eine Hand an dem Busen, der eigentlich ihm
     gehört. Ich musste mich wieder hinsetzen, weil mir die Knie zitterten.
    Lotte riss die Schiebetür auf. »Tata!«, trompetete sie. Aus irgendeinem Grund war sie jetzt barfuß. Sie trug die Terrine zum
     Tisch, stellte sie ab, öffnete den Deckel und sagte stolz: » Coq au vin .«
    Ich lehnte mich vor, schnupperte, roch den würzigen Geruch des gebeizten Fleisches, schloss die Augen – und hätte mich beinahe
     entspannt.
    »Nach Art des Bürgermeisters!«
    Ich ließ mich kraftlos in den Stuhl zurücksinken. Lotte aber tat, als sei nichts geschehen, nahm meinen Teller und bediente
     mich. Es waren die gleichen runden Bewegungen, die gleiche mütterliche Sorgfalt, mit der sie auch ihn bediente. Coq au vin . Nach Art des Bürgermeisters . Am liebsten hätte ich mich in meiner Einliegerwohnung eingeschlossen und mich unter die Bettdecke verkrochen, damit ich
     ihr Klingeln und Klopfen nicht hörte. Coq au vin. Nach Art des Bürgermeisters. Hätte sie mir nicht einfach Spaghetti mit Tomatensoße kochen können? Musste es Coq au vin nach Art des Bürgermeisters sein?
    Das Fleisch war zart und hatte einen deftigen Geschmack.
    »Man muss wissen, welchen Wein man nimmt und wie viel. Und die Zwiebel. Man muss sie karamelisieren. Ich mache es auf der
     Herdplatte. Wie ...«
    »Es schmeckt wirklich hervorragend!«, unterbrach ich sie.
    Sie strahlte. »Wo sie doch bei uns zu Hause im Saarland den Hahn höchstens grillen können, im schlimmsten Fall frittieren
     sie ihn.«
    |11| Ich nahm mein Glas und stieß mit ihr an. Es tat gut, sich an gewisse Formen zu halten.
    »Tja, wir kommen eben aus einem anderen Land.«
    Dabei beließen wir es. Wir aßen still weiter.
    Ich vergaß den Bürgermeister. Der coq au vin war vorzüglich. Nicht, dass ich ihn zum ersten Mal gegessen hätte. Aber niemals hatte der Rotwein so mit dem Fleisch harmoniert:
     kein aufdringliches Aroma am Hähnchen.
    Die CD war zu Ende. Lotte tupfte sich die Lippen ab, stand auf und suchte im Regal. Warum war sie bloß barfuß?
    Leonard Cohen. Für diesen Moment besser als Vivaldi. Wir prosteten uns zu.
    Irgendwie wurden wir an diesem Abend nicht so richtig warm miteinander. Vielleicht spürte sie meine Reserve. Vielleicht lernte
     sie auch, vielleicht gab es nächstes Mal coq au vin nach Art von Lotte. Sie stellte das Glas ab und machte ein nachdenkliches Gesicht. Auf einmal wirkte sie jung, sehr jung und
     verletzlich. Sie wollte mir etwas sagen. Ich ermunterte sie mit einem Lächeln.
    »Es ist so«, begann sie, »Pierre ...«
    »Können wir nicht mal von was anderem reden als von deinem Gatten!?«
    Sie erschrak.
    »Entschuldigung.« Immerhin war ich Gast hier. »Es ist nur ...« Sie wischte es mit einer Handbewegung weg. »Schon gut. Du hast
     ja recht. Ich wollte dir auch nur sagen, dass er zwei ganze Tage weg ist.« Sie tupfte sich die Lippen ab, stand auf, kam um
     den Tisch herum und nötigte mich, den Stuhl zurückzurücken. Lotte setzte sich auf meinen Schoß. Ich roch ihr Parfüm. Ein Allerweltsparfüm
     für Frauen über vierzig. Dennoch wütete dieser Duft in meinem Hirn wie Opium.
    »Was können wir uns jetzt alles erlauben«, hauchte sie und küsste mich vorsichtig auf die Wange.
    Ich wollte aufspringen – vor Begeisterung und weil sie schwer war, wirklich schwer. Doch sie drückte mich nieder.
    |12| »Lass uns wegfahren!«, flüsterte ich ihr ins Ohr. Das dünne Schläfenhaar kitzelte meine Nasenlöcher.
    »Ich kann doch nicht einfach wegfahren. Wie stellt sich der Herr Polizeichef das vor?«
    »Warum nicht?«
    »Mein Haushalt. Und denk doch mal an die Nachbarn!«
    Da läutete es. Lotte sprang auf, fuhr sich durch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher