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Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)

Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)

Titel: Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)
Autoren: Joanie McDonell
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der Nacht sein Urteilsvermögen walten zu lassen, und er hat ein ausgezeichnetes Urteilsvermögen.
    »Hat gesagt, ist dringend«, meinte Meriwether zu mir. »Sache von Leben und Tod.«
    »Es ist nie eine Sache von Leben und Tod«, erwiderte ich.
    In einem solchen Fall hat keiner Zeit für Anrufe.
    »Ja, bitte?«, sagte ich ins Telefon.
    Meriwether ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
    »Hallo …« Die Stimme eines Mannes.
Hallo?
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich.
    »Mein Name ist Justin Greenburg.« Er räusperte sich.
    »Ja«, sagte ich.
    »Ich bin Arzt – Internist – in der Bellevue-Klinik.« Er zögerte.
    »Worin liegt das Problem?«, fragte ich.
    »Es geht um eine Patientin hier.«
    »Und Sie rufen mich weswegen an?«
    »Hören Sie«, erwiderte Dr. Justin Greenburg. »Ich könnte in große Schwierigkeiten geraten, weil ich Sie anrufe – vielleicht tu ich’s, weil ich müde bin, wir kriegen nie genug Schlaf …«
    »Nur zu!«, ermunterte ich ihn.
    »Heute Abend ist eine Frau eingeliefert worden – irgendein Taxifahrer hat sie in die Notaufnahme gebracht und ist weg. Niemand weiß, ob es wirklich ein Taxifahrer war, weil er verschwunden war, als die Wache ihn suchte. Die Frau sieht aus, als wenn sie ausgeraubt oder überfallen worden wäre. Könnte jedoch auch eine häusliche Sache sein – eine ziemlich schlimme.«
    »Warum hat sie Ihnen nichts gesagt?«
    Mein erster Fehler. Eine Frage. Ich hätte mich mit diesem Typen nicht darauf oder überhaupt auf etwas einlassen sollen.
    »Sie stand unter Schock«, erwiderte er. »Sie hat eine Gehirnerschütterung erlitten und kann sich jetzt an nichts erinnern …«
    »Justin«, sagte ich – er hörte sich noch ganz jung an, »ich weiß von nichts. Es ist spät, ich bin müde – vielleicht nicht so müde wie Sie, aber könnten Sie bitte zur Sache kommen? Warum rufen Sie mich an?«
    »Meine Schicht ist zu Ende«, entgegnete er, »aber ich gehe nicht. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ich das hier nicht tun sollte.«
    »Okay«, sagte ich. »Dann tun Sie’s nicht. Ich lege jetzt auf.«
    »Einen Moment, bitte«, sagte er. »Die Sache ist, dass die Frau – die Frau, sie ist echt hübsch …«
    Meine Güte, dachte ich, das Gesundheitssystem geht wirklich den Bach runter. Sie heuern schon Volltrottel an.
    »… und sie möchte hier raus.«
    »Wenn sie über achtzehn ist«, sagte ich, »kann sie tun, was sie will.«
    »Das wird ihr nicht möglich sein«, erwiderte er, und dann fuhr er in einem Atemzug fort: »Sie wurde eingeliefert, und ohne Gedächtnis, ohne Ausweispapiere und ohne Geld ist sie offiziell eine Obdachlose, und sie werden sie der Psychiatrie überstellen.«
    Leg auf, Sayler!
    »Warum?«, fragte ich.
    »Weil das System beknackt ist«, erwiderte er nach einem Augenblick des Zögerns. »Ich meine, es ist, na ja, beknackt.«
    »Okay«, sagte ich. »Es ist beknackt.«
    »Ich habe Sie angerufen«, sagte er, »weil das Einzige, was sie dabeihatte, Ihre Visitenkarte war. Niemand außer mir hat die gesehen.«
    »Was soll ich also tun, Ihrer Ansicht nach?«
    »Vielleicht kennen Sie sie«, antwortete er.
    »Ganz bestimmt nicht«, sagte ich. »Ich habe Hunderte von Visitenkarten verteilt.«
    »Ich hab mal eine Schicht in der Psychiatrie gemacht – da ist es wirklich voll beschissen – und diese Frau erscheint so … zerbrechlich.«
    »Sie sind ein merkwürdiger Arzt«, sagte ich.
    »Ich kann sie einfach nicht da rauflassen. Können Sie helfen? Bitte!«
    »Tut mir leid«, sagte ich zu ihm, und inzwischen tat es mir wirklich etwas leid. »Da kann ich wirklich nichts tun – aber viel Glück.«
    Dann legte ich auf.

2
    Warum ich mich auf sie einließ? Ich habe gesagt, weil sie schön war – aber die richtige Frage wäre vermutlich, warum ich mich anzog, in einen heftigen Regen hinausging, den kabbeligen Fluss überquerte und dann tatsächlich durch die Tür des Bellevue trat.
    Darauf gibt es zwei Antworten. Die weniger bedeutende ist die, dass ich lieber Probleme löse als diskutiere. Was mich jedoch wirklich in dieser Nacht in Bewegung setzte, war das Verständnis dafür, wie es sich anfühlt, an einem beschissenen Ort eingesperrt zu sein, ohne rauszukönnen.
    Nur fünf Minuten waren vergangen, bis ich die Nummer des Anrufers nachsah, anrief und erneut mit Dr. Justin Greenburg sprach.
    Niemand würde sich über das gewaltige Sommergewitter beklagen, weil seit anderthalb Wochen eine Rekordhitze die Leute die
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