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Böser kleiner Junge (German Edition)

Böser kleiner Junge (German Edition)

Titel: Böser kleiner Junge (German Edition)
Autoren: Stephen King
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aber was er da von sich gab, hätte ein kleiner Junge niemals gesagt.
    Lutsch mir doch den Schwengel, Arschgesicht, rief er und verschwand hinter dem Gebüsch.
    Ich wäre ihm sofort hinterhergelaufen, hätte Marlee meine Hand nicht so fest gehalten, dass es schmerzte.
    Ich kann den Jungen nicht leiden, sagte sie.
    Ich auch nicht, sagte ich. Mach dir nichts draus. Gehen wir nach Hause.
    Sobald wir ein paar Schritte gegangen waren, sprang der Junge wieder hinter dem Gebüsch hervor. Er hielt Marlees Steve-Austin-Lunchbox mit beiden Händen und hob sie in die Höhe.
    Hast du etwa was verloren, Spasti, sagte er und lachte. Beim Lachen verzerrte sich sein Gesicht so, dass er wie ein Ferkel aussah. Er schnupperte an der Box. Die muss dir gehören, sagte er. Die stinkt nämlich nach deiner behinderten Fotze.
    Gib her, das ist meine, schrie Marlee. Sie ließ meine Hand los. Ich wollte sie festhalten, aber unsere Handflächen waren schweißnass und glitschig.
    Hol sie dir doch, sagte er und hielt sie ihr hin.
    Jetzt muss ich kurz Mrs. Peckham erwähnen. Sie unterrichtete die Erstklässler auf der Mary Day School. Im Gegensatz zu fast allen anderen Kindern in Talbot – auch Marlee – hatte ich sie nicht gehabt, weil ich in New Mexico eingeschult worden war. Alle mochten sie. Ich mochte sie auch, obwohl ich sie nur von der Pausenaufsicht her kannte. Wenn wir Kickball spielten, Jungen gegen Mädchen, war sie immer die Werferin der Mädchenmannschaft. Manchmal brachte sie alle zum Lachen, indem sie den Ball hinter ihrem Rücken einwarf. Sie war eine Lehrerin, an die man sich auch nach vierzig Jahren noch erinnerte, weil sie freundlich und fröhlich war und trotzdem jedes noch so aufgedrehte Kind beruhigen konnte.
    Sie besaß einen großen alten Buick Roadmaster. Wir nannten sie Schnecken-Peckham, weil sie nie schneller als dreißig Meilen die Stunde fuhr und immer kerzengerade und mit zusammengekniffenen Augen hinterm Steuer saß. Natürlich sahen wir sie nur im Umkreis der Schule herumtuckern, der sowieso eine verkehrsberuhigte Zone war, aber ich wette, dass sie auf dem 78er genauso fuhr. Wahrscheinlich sogar auf der Interstate. Sie war vorsichtig und wachsam. Sie hätte niemals einem Kind Schaden zugefügt. Nicht absichtlich jedenfalls.
    Marlee lief auf die Straße, um sich die Lunchbox zurückzuholen. Der böse kleine Junge lachte und warf sie ihr entgegen. Die Box fiel auf den Asphalt und klappte auf. Ihre Thermosflasche rollte heraus. Ich sah den himmelblauen Roadmaster näher kommen und rief Marlee zu, sie solle aufpassen, aber ich machte mir keine Sorgen, weil es ja nur Schnecken-Peckham war, die so langsam fuhr wie immer und noch eine Straße entfernt war.
    Du hast ihre Hand losgelassen, sagte der Junge. Deshalb ist es deine Schuld. Er sah mich grinsend an, wobei er seine vielen kleinen Zähne fletschte. Nichts ist für die Ewigkeit, du Arschloch, sagte er. Dann streckte er mir die Zunge raus, machte ein Furzgeräusch und verschwand wieder hinter dem Gebüsch.
    Mrs. Peckham sagte später aus, dass ihr Gaspedal geklemmt habe. Ich weiß nicht, ob die Polizei ihr das geglaubt hat. Jedenfalls hat sie an der Mary Day School nie wieder Erstklässler unterrichtet.
    Marlee beugte sich vor, hob die Thermosflasche auf und schüttelte sie. Das Klirren war deutlich zu hören. Sie ist kaputt, sagte sie und fing an zu weinen. Dann bückte sie sich noch einmal nach ihrer Lunchbox, und in diesem Moment hat sich wohl Mrs. Peckhams Gaspedal verklemmt, denn der Motor heulte auf, und der Buick sprang förmlich nach vorn. Wie ein Wolf, der sich auf einen Hasen stürzt. Marlee richtete sich auf, die Lunchbox mit einer Hand gegen die Brust gepresst, die Thermosflasche in der anderen. Sie sah den Wagen auf sich zukommen, rührte sich aber nicht.
    Vielleicht hätte ich sie zur Seite schubsen und somit retten können. Vielleicht auch nicht. Vielleicht hätte es mich ebenfalls erwischt, wenn ich auf die Straße gelaufen wäre. Das werde ich wohl nie erfahren, weil ich ebenso starr vor Schreck war wie sie. Ich stand einfach nur da. Ich bewegte mich keinen Millimeter, als der Wagen sie erfasste. Nicht mal mein Kopf zuckte. Nur meine Augen folgten ihr, als sie durch die Luft geschleudert wurde und dann auf ihrer armen weichen Birne landete. Kurz darauf ertönten Schreie. Das war Mrs. Peckham. Sie sprang aus dem Auto und fiel hin, sodass sie sich die Knie aufschlug, stand wieder auf und rannte auf Marlee zu, die mit blutendem Schädel auf der Straße
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