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Böser kleiner Junge (German Edition)

Böser kleiner Junge (German Edition)

Titel: Böser kleiner Junge (German Edition)
Autoren: Stephen King
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Rechtsbeistand, sondern auch für nahe Angehörige galt. Allerdings hatte sich Hallas’ Frau schon wenige Wochen nach seiner Verurteilung von ihm losgesagt und scheiden lassen, und Kinder waren keine vorhanden. Hallas war allein – er hatte niemand mehr bis auf Len Bradley, und von dessen Vorschlag auf Einreichung einer Berufung und der damit einhergehenden Vollstreckungsverzögerung wollte er nichts wissen.
    Bis heute zumindest.
    Er wird schon noch mit Ihnen reden, hatte ihm McGregor nach einer nur zehnminütigen Sitzung im letzten Monat prophezeit, während deren sich Hallas’ Beiträge zur Konversation auf nein und nein und nein beschränkt hatten.
    Wenn es so weit ist, wird er reden wie ein Buch. Die kriegen Angst, verstehen Sie? Auf einmal wollen die nicht mehr erhobenen Hauptes in die Todeskammer marschieren. Irgendwann wird ihnen klar, dass das kein Film ist und dass sie wirklich sterben werden, und dann werden sie jedes nur erdenkliche Rechtsmittel ausschöpfen wollen.
    Besonders ängstlich wirkte Hallas allerdings nicht. Er sah so aus wie immer: ein kleiner Mann mit krummer Haltung, blasser Haut, schütterem Haar und Augen wie aufgemalt. Er sah aus wie ein Steuerberater – was er in seinem früheren Leben auch gewesen war –, der jegliches Interesse an den Zahlenkolonnen verloren hatte, die ihm einst so wichtig erschienen waren.
    »Dann mal viel Spaß, Jungs«, sagte McGregor und ging zu dem Stuhl, der in der Ecke stand. Er setzte sich, schaltete seinen iPod ein und ließ sich von der Musik beschallen, ohne die beiden Männer auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Die Löcher in der Trennscheibe waren selbst für einen Bleistift zu schmal, doch eine Nadel hätte man ohne Weiteres durchschieben können.
    »Was kann ich für Sie tun, George?«
    Hallas schwieg einen Moment. Er betrachtete seine kleinen, kraftlosen Hände, die man wohl kaum für die Hände eines Mörders gehalten hätte. Dann sah er auf.
    »Sie sind ein anständiger Kerl, Mr. Bradley.«
    Bradley war überrascht und wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte.
    Hallas nickte, als hätte sein Anwalt das Gesagte bestritten. »Doch. Sind Sie. Sie haben nicht lockergelassen. Selbst dann nicht, als ich Ihnen gesagt habe, Sie sollen damit aufhören und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Nicht viele Pflichtverteidiger würden das tun. Die meisten hätten wohl Schön, wie Sie meinen gesagt und sich dem nächsten armen Teufel zugewandt, der ihnen vom Richter aufs Auge gedrückt wird. Aber Sie nicht. Sie haben mir erzählt, welche Maßnahmen Sie ergreifen werden, und als ich Ihnen gesagt habe, dass Sie das lassen sollen, haben Sie trotzdem weitergemacht. Ohne Sie wäre ich schon vor einem Jahr in die Grube gefahren.«
    »Tja, man kriegt nicht immer das, was man will, George.«
    Hallas lächelte kurz. »Wer wüsste das besser als ich? Aber ehrlich gesagt – so schlimm war es gar nicht. Der Hühnerhof macht es einigermaßen erträglich. Mir gefällt’s da draußen. Ich mag den Wind im Gesicht, selbst wenn er kalt ist. Ich mag den Geruch der Präriegräser oder wenn am helllichten Tag der Vollmond am Himmel steht. Oder die Rehe. Manchmal springen sie auf dem Hügel herum und jagen hintereinander her. Das gefällt mir. Hin und wieder muss ich sogar laut lachen.«
    »Das Leben kann schön sein. Es kann es wert sein, dass man darum kämpft.«
    »Für manches Leben gilt das bestimmt. Für meines nicht. Aber es war trotzdem nett von Ihnen, dass Sie sich so für mich eingesetzt haben. Ich schätze Ihr Engagement sehr. Daher werde ich Ihnen auch erzählen, was ich vor Gericht nicht auspacken wollte. Und wieso ich keine Berufung einreichen oder die üblichen Verzögerungstaktiken anwenden wollte … obwohl ich Sie ja nicht daran hindern konnte, es doch für mich zu tun.«
    »Eine Berufung ohne Einwilligung des Angeklagten hat vor den Gerichten dieses Bundesstaates nicht allzu viel Gewicht. Vor keinem Gericht der Welt, um genau zu sein.«
    Hallas schien die letzte Bemerkung überhört zu haben. »Außerdem haben Sie mich regelmäßig besucht, und auch das rechne ich Ihnen hoch an. Nur wenige Leute würden zu einem verurteilten Kindsmörder so nett sein wie Sie.«
    Wieder wusste Bradley nichts darauf zu entgegnen. Hallas hatte in den letzten zehn Minuten mehr gesagt als bei all seinen Besuchen in den vergangenen vierunddreißig Monaten zusammen.
    »Ich habe kein Geld, das ich Ihnen geben könnte, aber ich kann Ihnen zumindest erzählen, wieso ich
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