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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition)
Autoren: Katja Lange-Müller
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Hals werfen wollte. Oder kroch es durch den Bauchnabel in mich hinein – wie ein Gas, das sich hinter meinem Zwerchfell sammelte und ausdehnte und schon anfing, mir die Stimmung zu heben?
    Nein, sagte ich, geht nicht. Werde erwartet.
    »Okay«, meinte deine Gesellschaft, die bislang noch nicht das Wort gehabt hatte, offensichtlich erleichtert – und packte dich am Ärmel, so derb, daß der mürbe Trikotstoff tatsächlich eine Art Klagelaut von sich gab, denn du bliebst stehen, wolltest dich ebensowenig fortziehen lassen, wie ich dies wollte. Dennoch tat ich das, wozu meine miteinander im Streit liegenden Empfindungen mich nötigten; ich begann zu laufen, mit verdrehtem Kopf, ohne den Blick von dir zu wenden, und schrie dich an: Vielleicht später.
    Da machtest du dich los, daß dein Ärmel riß wie Papier, ranntest mir nach, holtest mich ein. »Gut, Punkt drei Uhr, genau hier«, sagtest du scharf, fast drohend, und hörtest erst auf, mich zu verfolgen, als ich, weil ich schon eine Passantin angerempelt hatte, beschloß, jetzt doch lieber wieder nach vorne zu schauen.

[Menü]
III
    Christoph, den mit der Badewanne, einer außergewöhnlich großen, hatte ich Ende Januar kennengelernt, im Lokal gewordenen Wunschtraum einer jeden Ostfrau, dem Malibu am Winterfeldplatz, dessen Boden knöchelhoch mit feinstem weißen Strandsand bestreut war. Zwischen den Tischen standen künstliche Palmen und echte, vom Zigarettenqualm und aus Mangel an Sonnenlicht halb verwelkte Ficus-benjamina-Bäumchen. Pinkfarbene, zu riesigen Flamingos geformte Neonröhren zogen sich über die schwarzen Wände hin, und von der Decke hingen Kugellampen, die ein diffuses blaues Licht gaben. Vor allem dieses Blaulichts wegen besuchte ich das Lokal ganz gerne, denn es bewirkte, daß die Hamburger, Spareribs und Folienkartoffeln, die man dort bestellen konnte, erbärmlich fad aussahen. Und so aß ich nie mehr davon, als unbedingt nötig war, damit mich die sehr kleinen Cocktails, die dafür aber nur die Hälfte des sonst Üblichen kosteten, nicht im Handumdrehen zulöteten.
    Christoph hatte sich mir gegenüber niedergelassen, weil alle anderen Plätze besetzt waren. Etwa eine halbe Stunde lang verrenkte er sich fast den Hals, spähte an den ein- und ausströmenden Menschen vorbei zur Tür und leerte nebenher blitzartig die Karaffe Roséwein, die ihm gebracht worden war, ohne daß er sie hatte bestellen müssen. Als die erwartete Person, eine gewisse Adrienne, wie sich bald herausstellte, nicht erschien, drosch Christoph, dessen hübsches Gesicht vom hastigen Trinken und womöglich auch vor Zorn rot angelaufen war, eine Börseaus speckigem Leder neben sein Glas, erhob sich, wand sich suchend um die eigene Achse – wie eine Raupe, die das Ende des Grashalms erreicht hat und nicht mehr weiterweiß; doch die dürre, immer gehetzt dreinschauende Serviererin war nirgends zu sehen.
    Erbstück, fragte ich laut und legte meine Finger auf das Portemonnaie. Aber Christoph grabschte nicht etwa ängstlich nach seinem Eigentum, sondern antwortete grinsend, als hätte ich ihn von Üblerem als Geld befreien wollen: »Nein, noch nicht, noch bin ich ja am Leben.«
    Er setzte sich wieder, winkte, kaum daß die Toilettentür hinter ihr zugeschlagen war, die Serviererin herbei, fragte, ob er mich einladen dürfe, zu was auch immer, orderte für sich die nächste Karaffe Rosé und sprach: »Angenehm, ich bin der Bayer Christoph Meier.«
    Ich sagte ihm, wer ich sei und wo ich herkäme, und dann wunderten wir uns ein wenig und ganz so, wie unsere Rollen es verlangten, er sich, weil ich keinen Wodka mochte, ich mich darüber, daß er sich an diesen komischen hellroten Wein hielt, obwohl sie hier ein berühmtes Münchner Bier zapften. Christoph outete sich als Augsburger, der »in der Nähe von Brechts Elternhaus« aufgewachsen und vor sechs Jahren nach Berlin gekommen sei, um Pädagogik zu studieren. Doch das habe ihn bald »angeödet«, auch weil er »nicht ernsthaft« daran denke, »einmal Kinder zu dressieren«. Jetzt bringe er sich ein bißchen ein in ein Jugendprojekt namens Pumpe und mache am Wochenende einen Job, der ihm wiederum ein bißchen was einbringe.
    »Und du? Welcher Teufel hat dich geritten, der DDRden Rücken zu kehren?« Christoph war so taktlos nicht, mich, wie es schon mancher getan hatte, des »Verrats an der Sache des Sozialismus« zu bezichtigen. (Was mich nur mäßig kränkte; denn so, wie wir von einer Alternative geträumt hatten, gestand ich euch die
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