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Body Farm

Body Farm

Titel: Body Farm
Autoren: Patricia Cornwell
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deutlich übergewichtig, und man sah ihr an, daß sie ihr Leben lang schwer gearbeitet hatte. »Wollen Sie Hummer kaufen?« Sie machte Anstalten aufzustehen.
    »Nein«, sagte ich schnell. »Ich bin auf der Suche nach meiner Nichte. Sie hat sich verlaufen, oder wir haben uns irgendwie verpaßt. Wir waren verabredet. Haben Sie sie vielleicht gesehen?«
    »Wie sieht sie denn aus?« fragte der Fischer. Ich beschrieb sie.
    »Und wo haben Sie sie zuletzt gesehen?« Die Frau sah mich etwas verwirrt an.
    Ich holte tief Luft. Der Mann hatte mich schon durchschaut, ich sah es seinem Blick an.
    »Sie ist weggelaufen. Das passiert manchmal bei Kindern«, sagte er und zog an seiner Marlboro. »Die Frage ist, wovor ist sie weggelaufen? Sagen Sie es mir, dann komme ich vielleicht darauf, wo sie stecken kann.«
    »Sie war in Edgehill«, sagte ich.
    »Und sie ist einfach raus?«
    »Sie ist gegangen.«
    »Dann hat sie entweder das Programm nicht mitgemacht, oder die Versicherung will nicht zahlen. Passiert hier häufig. Ich habe Kumpels, die in dem Laden waren und nach vier oder fünf Tagen wieder gegangen sind, weil die Versicherung nicht zahlen wollte. Kommt immer wieder vor.«
    »Sie hat das Programm nicht mitgemacht«, sagte ich.
    Er nahm die Mütze vom Kopf und strich einen wilden schwarzen Haarschopf glatt.
    »Sie müssen krank vor Sorge sein«, sagte die Frau. »Ich kann Ihnen einen Pulverkaffee machen.«
    »Sie sind sehr liebenswürdig, aber danke, nein.«
    »Wenn sie zu früh rauskommen, fangen sie gewöhnlich wieder an zu trinken oder Drogen zu nehmen«, fuhr der Mann fort. »Ich sage es nicht gern, aber so läuft das. Wahrscheinlich arbeitet sie als Kellnerin oder als Barmädchen. Dann ist sie immer nah an dem dran, was sie mag. Die Restaurants hier in der Gegend bezahlen recht gut. Ich würde bei Christie's nachsehen oder drüben im Black Pearl am Bannister's Wharf oder im Anthony's am Waites Wharf.«
    »Da war ich überall schon.«
    »Was ist mit dem White Horse? Da kann man gut verdienen.«
    »Wo ist das?«
    »Da drüben.« Er zeigte in Richtung Stadtzentrum. »Jenseits der Marlborough Street, nicht weit vom Best Western.«
    »Und wo könnte sie wohnen?« fragte ich. »Sie ist nicht der Mensch, der dafür viel Geld ausgibt.«
    »Ich sage Ihnen, meine Liebe, was ich tun würde«, sagte die Frau. »Ich würde es im Seaman's Institute versuchen. Es liegt gleich gegenüber. Sie müssen auf dem Weg hierher daran vorbeigekommen sein.«
    Der Fischer nickte und zündete sich eine neue Zigarette an. »Gehen Sie da mal hin. Das ist ein guter Anfang. Sie beschäftigen dort auch Bedienungen und Küchenhilfen.«
    »Was ist das für ein Haus?«
    »Ein Haus, in dem Fischer, denen es nicht so gut geht, wohnen können. So etwas wie ein kleines CVJM-Heim, oben die Zimmer, unten Speisesaal und Snackbar.«
    »Unterhalten wird es von der katholischen Kirche«, fügte die Frau hinzu. »Am besten sprechen Sie mit Pater Ogren. Er ist der Priester dort.«
    »Warum sollte ein junges Mädchen dorthin gehen und nicht zu den anderen Adressen, die Sie erwähnt haben?« fragte ich.
    »Das würde sie wohl auch nicht«, sagte der Fischer, »es sei denn, sie will nicht mehr trinken. Dort gibt es nämlich keinen Alkohol.« Er schüttelte den Kopf. »In so ein Haus geht man genau dann, wenn man die Behandlung vorzeitig abbricht, aber trotzdem nicht mehr trinken oder Drogen nehmen will. Ich kenne einen ganzen Haufen Jungs, die das so gemacht haben. Auch ich bin schon mal dort gewesen.«
    Als ich ging, regnete es so heftig, daß das Wasser laut vom Straßenpflaster zum feuchten Himmel zurückzuspritzen schien. Ich war durchnäßt bis zu den Knien und hungrig, ich fror und wußte nicht, wohin. Es ging mir also genau wie den vielen Menschen, die das Seaman's Institute aus Not aufsuchten.
    Es sah aus wie eine kleine Backsteinkirche. Draußen stand das Menü mit Kreide auf eine Tafel geschrieben, und ein Transparent verkündete:
    JEDERMANN WILLKOMMEN.
    Ich trat ins Haus. Einige Männer saßen an einer Bar und tranken Kaffee, andere saßen an Tischen in dem angrenzenden einfachen Speisesaal. Man sah mich mit freundlicher Neugier an. Viele der Gesichter waren deutlich gezeichnet von Jahren draußen auf See und vom Alkohol. Eine Kellnerin, die nicht älter aussah als Lucy, fragte mich, ob ich etwas zu essen wünschte.
    »Ich suche Pater Ogren«, sagte ich.
    »Ich habe ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen, aber schauen Sie mal in der Bibliothek oder in der
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