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Boccaccio

Boccaccio

Titel: Boccaccio
Autoren: Hermann Hesse
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nur am Rande artikuliert, wird in seiner Boccac-
    cio-Monographie zu einem beredten Plädoyer:
    »Unser Novellenbuch hat das Bestreben und die Eigenscha,
    ein Spiegel des wirklichen Lebens zu sein … Außerdem sind
    diese Stoffe von den Erzählungen so zart und mit guten Nutzan-
    wendungen vorgetragen, teils so fein und erheiternd mit Witz
    und Wortspiel verziert, teils auch so burlesk und drollig, daß
    ihnen die natürliche Gemeinheit zum guten Teil genommen ist
    und daß sie bei gesunden und vernünigen Lesern gewiß keinen
    Schaden anzurichten vermögen. Dazu kommt, daß neben die-
    sen anderen so viele Geschichten voll Reinheit und Edelsinn
    stehen, ja auch unter denen, welche ausschließlich von der Liebe
    handeln, finden sich nicht wenige Beispiele von seltener
    Keuschheit, Treue und Ehrbarkeit.«
    Nach Hesses Ansicht gehören explizit die derberen Possen zu
    Boccaccios besten Erzählungen. Aus Boccaccios Bekenntnis im
    Prooemium, Epilog und in der Vorrede zum vierten Tag leitet
    Hesse den Nachweis ab, daß selbst die delikaten Novellen keine
    bösartigen Invektiven implizieren. Mit gleicher Verve verwahrt
    Hesse Boccaccio gegen den Vorwurf der Blasphemie. Boccac-
    cios Kritik am Klerus bewegt sich nach Hesse im Rahmen der
    allgemeinen Zeitkritik gegen damalige kirchliche Mißstände.
    Wie vehement Boccaccio die Diskrepanz zwischen Lehre und
    lasterhaem Lebenswandel des Klerus anprangert, illustriert
    Hesse am Beispiel der Novelle I,  vom rechtschaffenen Juden
    Abraham, der die Laster der allerhöchsten Kirchenfürsten erle-
    ben muß.
    Zu den schönsten Novellen des Dekameron zählen für ihn die
    Erzählungen über tragische Liebe und Seelengröße. Als besonde-
    res narratives Kleinod bezeichnet er in diesem Zusammenhang
    
    die Griseldis-Novelle (X, ), deren poetische Vollkommenheit
    Hesse daran mißt, daß Petrarca sie ins Lateinische übertrug. 
    Nicht weniger fasziniert ist er von der Novelle V,  über den
    jungen Edelmann Federigo degli Alberighi und seinen Falken:
    »Diese Erzählung stellt, ohne ein einziges überflüssiges Wort,
    eine edle und treue Liebe dar, welcher kein Opfer je zu groß ist,
    und dies ist mit einer so feinen, wehmütigen Einfalt erzählt, daß
    es schwerlich sonst je einem Dichter gelungen ist, mit so be-
    scheidenen Worten das Herz des Zuhörers so mächtig zu ergrei-
    fen.« 
    Ebenso ergreifend wirkt auf Hesse die Erzählung IV, , in der
    ein Mädchen ihren toten Geliebten auf ein Seidentuch bettet und
    den Leichnam mit Rosen zudeckt.
    Interesse bezeugt Hesse an den Novellen über die Gepflogen-
    heiten von Kaufleuten in exotischen Seestädten, über das Geba-
    ren betrügerischer Dirnen in Palermo (VIII, ) und über köst-
    liche Tafelfreuden (X, ).
    Als Meisterstück erzählerischer Darstellungskunst bezeichnet
    er die Schilderung der Pestepidemie zu Beginn des Dekameron .
    Den Schwank hat Boccaccio nach Hesses Auffassung unüber-
    trefflich gestaltet. Mit wenigen Strichen konturiert Hesse die
    Schwanke, die sich um den Witzbold Michele Scalza (VI, ), die
    Maler Bruno und Buffalmacco und ihren Freund Maso del Sag-
    gio ranken (VIII, , , ; IX, , ). Der köstlichste Schwank ist
    für Hesse unbestritten die Novelle vom Bruder Cippola. Welche
    Faszination dieser Schwank auf ihn ausübt, hat Hesse in der
    Boccaccio-Miszelle der Frankfurter Zeitung treffend zum Aus-
    druck gebracht:
    »Und doch ist es gerade eine der Mönchsnovellen (Tag , No-
    velle ), in welcher wir den Dichter von seiner liebenswürdig-
    sten Seite kennenlernen. Es ist die ergötzliche Geschichte vom
    
    Bruder Zippola und seiner Reliquienpredigt, eine Perle des ›De-
    kameron‹. An feurigem Witz, scharfsinnigen, geistreichen oder
    burlesken Einfällen fehlt es dem Boccaccio ja nie, aber in dieser
    meisterhaen Erzählung erreicht er die Höhe eines wirklichen,
    profunden, reinen Humors, wie wir ihn bei den zahllosen späte-
    ren italienischen Novellendichtern vergebens suchen. Die Art,
    wie der mit schwindelhaen Reliquien umherreisende schlaue
    Bettelmönch seine Überlister wieder überlistet, wie er sich aus
    einer höchst peinlichen Verlegenheit zu retten weiß, wie er sicht-
    lich seiner eigenen Schlauheit noch mehr als des erschwindelten
    Geldes sich freut und schließlich zwar als durchschauter Übeltä-
    ter, aber doch ungestra und fast mit einer kleinen diabolischen
    Glorie aus der heiklen Sache hervorgeht, das
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