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Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Michele Giuttari
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McDonald’s. Eine Blechbüchse und ein leeres Fläschchen Cola light lagen in dem Abfallkorb neben dem recht gut erhaltenen Mahagonischreibtisch. Das einzige Kleidungsstück, ein dunkelgrauer Mantel, der an den Ellbogen ein wenig abgewetzt war, hing auf einem Plastikbügel. In einer der Taschen fanden die Detectives einen Schlüsselbund, jedoch nicht das Portemonnaie, das sie dort vermutet hatten. Bei der Leiche war es nicht gewesen, und es lag auch nicht auf dem Holzregal.
    »Wissen wir, wo er wohnt?«, erkundigte sich Reynolds bei Bernardi.
    »Ja. Der Hausverwalter hat mir die Adresse gegeben. Er hat in Queens gewohnt – allein, seit seine Frau vor zehn Monaten verstorben ist. Ich sollte mich besser gleich auf den Weg machen.«
    »Ich auch«, sagte Reynolds. Gemeinsam verließen sie das Haus.
    Kaum waren sie auf den Bürgersteig getreten, prasselte ein heftiger Regen, der von starken Windböen begleitet wurde, auf sie nieder, während über den Himmel in immer kürzeren Abständen Blitze zuckten. Es war fast Mitternacht, und es kam ihnen vor, als wären sie in den zweiten Kreis der Hölle von Dantes Divina Commedia geraten. Vor ihnen befanden sich nur ein paar vereinzelte Journalisten, die sie geflissentlich übersahen.
    In den Straßen von Manhattan herrschte unterdessen die gewohnte Atmosphäre. Eine gespannte Erwartung lag in der Luft, freudige Erregung für die einen und Gefahr, manchmal ernste, für die anderen. New York, die Stadt, die niemals schlief, verbarg tückische Fallen hinter den Fassaden ihrer Wolkenkratzer, ihrer Avenues und Seitenstraßen. So war es von jeher. Auch in dieser stürmischen Nacht.
    Die Raubtiere lagen stets auf der Lauer.

Sonntag, 2. November
    Michael Bernardi war zweiundvierzig Jahre alt.
    Als Sohn sizilianischer Einwanderer war er in New York geboren und hatte immer dort gelebt. Er war mittelgroß, hatte einen dunklen Teint, kurzes grau meliertes Haar, eine kräftige Statur und schwarze, durchdringend blickende Augen. Im Job war er unermüdlich und beharrlich, einer von den Detectives mit einer sicheren Zukunft bei der Kriminalpolizei. Er war immer einsatzbereit und sowohl beim Lieutenant als auch bei seinen Kollegen hochgeachtet und sehr beliebt. Seine Ermittlungsberichte waren nicht nur klar formuliert, sondern auch reich an Details. Er überprüfte alles gewissenhaft, nahm nichts einfach als gegeben hin. Da er selbst mit einer wachen Intelligenz ausgestattet war, verabscheute er Dummheit und Arroganz bei anderen. Solche Eigenschaften konnten ihn regelrecht auf die Palme bringen.
    Jetzt stand er an der Spitze einer kleinen Gruppe von Männern vor dem Eingang des Hauses, in dem Bill Wells gewohnt hatte. Weil es am Ende einer Sackgasse lag, hatten sie die Autos auf einem kleinen Platz in der Nähe parken und die letzten Meter zu Fuß gehen müssen. Es war eine heruntergekommene Gegend, in der sich Sozialwohnungsblöcke, umgeben von Fabriken und Straßen voller Schlaglöcher, aneinanderreihten.
    Die Wohnung befand sich im ersten Stock eines baufälligen Backsteingebäudes mit tiefen Rissen in den Mauern;die rostige Feuertreppe war an einer Seitenwand angebracht. Früher hatte das Gebäude einmal als Kaserne gedient, doch durch die jahrzehntelange Vernachlässigung war es derart heruntergekommen, dass dies nicht mehr zu erkennen war. Hier gab es weder einen livrierten Portier noch einen Sicherheitsdienst. Niemanden, den man um diese Zeit etwas fragen konnte.
    Bevor sie anklopften, blieben die Detectives kurz vor der Wohnung stehen und lauschten. Nichts zu hören. Ihre Ankunft war allerdings nicht unbemerkt geblieben. Als Bernardi sich vor dem Haus umgesehen hatte, hatte er im schwachen Licht der Straßenlaterne erkannt, wie sich eine Gardine bewegte. Er klopfte an die Tür. Mehrmals. Keine Reaktion. Nacheinander probierte er die Schlüssel an dem im Mantel des Opfers gefundenen Bund, bis der richtige sich im Schloss drehte. Einmal, zweimal, dreimal. Endlich sprang die Tür auf.
    »Ist da jemand?«, rief er, sobald er drin war, die Pistole schussbereit in der Hand.
    Stille.
    Er knipste das Licht an.
    Es gab keinen Flur. Die drei kleinen Zimmer hatten niedrige Decken, hier und da Schimmelflecken an den Wänden und einen stark abgetretenen Teppichboden. Nur wenige, äußerst schlichte Möbel standen darin. Das kleine Wohnzimmer war lediglich mit zwei Sesseln und einem Sofa eingerichtet, die mit Überwürfen aus Synthetikstoff bedeckt waren, wahrscheinlich um zu verbergen, wie
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