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Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Michele Giuttari
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diesem Moment hörte er gedämpfte Stimmen und Schritte auf dem Treppenabsatz. Seine Mitarbeiter. Er musste gehen. »Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfällt«, fügte er an der Tür hinzu und gab dem Alten seine Visitenkarte.
    »Und entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen kein Glas Wein angeboten habe«, erwiderte dieser, während er sachte die Tür schloss.
    Als er sich zu seinen Männern umdrehte, blieb Bernardi kurz stehen. Ein Gedanke hatte ihn innehalten lassen: So viel Menschlichkeit in diesem Rattenloch!

    Als John Reynolds aufs 17. Revier kam, erteilte er sofort Anweisungen für die Zeugenbefragungen und spornte seine Leute mit der Redewendung »Wer sucht, der findet« an. Dann machte er eine Flasche Wasser auf, schenkte sich ein Glas ein und nahm einen großen Schluck.
    Sein Büro war ein typisches Chefzimmer. Geräumig, über Eck gehend und am Ende eines langen Flurs gelegen. An einer Wand hingen zwei große Stadtpläne von Manhattan, die mit Stecknadeln übersät waren. Der erste zeigte die Vergewaltigungen, Überfälle und Tötungsdelikte im vergangenen halben Jahr an. Der zweite dokumentierte die Wohnungen, Banken und Geschäfte, die im selben Zeitraum ausgeraubt worden waren. Eine statistische Kurve ließ erkennen, dass die Anzahl der Verbrechen insgesamt rückläufig war. An der linken Wand jedoch, direkt neben dem Schreibtisch, prangte seit einigen Monaten ein Plan, der die Tatorte eines bestimmten, im Anstieg begriffenen Delikts verzeichnete: der sexuellen Gewalt.
    Reynolds trat ans Fenster, angezogen vom Geräusch schwerer Regentropfen, die gegen die Scheibe schlugen. Er dachte daran, noch einmal zu Hause anzurufen.
    Als er am Morgen fortgegangen war, hatte seine Frau Linda alle Symptome einer Grippe gehabt. Sie zitterte wie Espenlaub, schwitzte und war kalkweiß im Gesicht. Gegen zwanzig Uhr, bei ihrem letzten Telefongespräch, hatte sie gesagt, dass sie fast neununddreißig Grad Fieber und denHausarzt angerufen habe. Er wählte die Nummer. Beim vierten Klingeln nahm Linda ab.
    »Hallo, Schatz, hab ich dich geweckt?«
    »Nein, ich war im Bad.«
    »Tut mir leid − wie geht es dir?«
    »Ein bisschen besser.«
    »Was hat der Arzt gesagt?«
    »Nichts Ernstes. Eine normale Grippe. Wird mich noch ein paar Tage plagen.«
    Reynolds sagte einen Moment nichts. Er stellte sich seine Frau im Nachthemd vor, in dem aus schwarzer Spitze, das er am liebsten mochte, während ihr die dunklen Haare glatt über die Schultern fielen.
    Linda war eine schöne Frau, groß, mit runden Hüften und blauen Augen. Er war stets eifersüchtig auf die bewundernden Blicke der anderen Männer gewesen, auch wenn er sich der Treue seiner Frau sicher war, was ihn ungeheuer stolz machte.
    »Schon dich, Liebling, und hol dir keinen Zug«, riet er fürsorglich.
    »Nein, keine Sorge. Und du, wann kommst du nach Hause?«
    »Es hat einen Mord gegeben.«
    »Wo?«
    »Hier in Manhattan. Der Portier eines Apartmenthauses ist erschossen worden.«
    »Schon wieder ein Mord …« In ihrer Stimme schwang Müdigkeit mit und vielleicht noch etwas anderes. Er erfasste diesen Unterton, und ein beängstigender Gedanke kam ihm: Was ist, wenn Linda dieses Leben eines Tages satthat und mich verlässt? Was wird dann aus mir?
    Doch das war nur ein kurzer Augenblick der Furcht, dannsagte er auch schon besänftigend: »Nicht mehr lange, Schatz, das weißt du doch.«
    »Hoffen wir’s.«
    »Ich werde mich bemühen, dich nicht zu wecken, wenn ich komme.«
    »Ich liebe dich, John.«
    »Ich dich auch.«
    Sie legten gleichzeitig auf.
    Reynolds wusste, dass seine Laufbahn bald eine neue Wendung nehmen würde. Seine Versetzung ins Hauptquartier an der Park Row war bereits beschlossene Sache, eine Beförderung, ein Bürojob, der ihm normalere Arbeitsstunden und mehr Zeit für sich und Linda erlauben würde.
    Beruhigende Zukunftsaussichten.

    Die Büroräume der Detective Squad nahmen eine ganze Etage ein.
    Das Morddezernat befand sich auf der einen Seite eines Flurs, von dem diverse Zimmer abgingen. In jedem davon standen vier Schreibtische. An den fensterlosen Wänden reihten sich Karteischränke aus Metall aneinander. Das letzte Büro war das von Michael Bernardi, durch eine große Glasscheibe vom Arbeitsbereich seines Teams getrennt.
    In allen Räumen drängten sich Menschen, die Computer summten, die Telefone klingelten. Vor jedem Schreibtisch saßen Zeugen. Mit müden Gesichtern und überzeugt, dass sie nur ihre Zeit verschwendeten, beantworteten
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