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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein
Autoren: Johan Theorin
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Wand hing ein Fernseher, er war eingeschaltet, aber leise
gestellt. Es lief die Übertragung eines Wettkampfes, bei dem Leute durch ein
Labyrinth liefen und sich gegenseitig anfeuerten.
    Im Raum saß nur eine einzige Person, die fernsah. Ein kräftiger Mann
in einem braunen Rollkragenpullover. Da erkannte ihn Vendela, es war Max.
    Er drehte sich zu ihr um. Dann sprang er auf.
    »Hallo, du bist ja ... bist du wach?«
    Vendela sah ihn verwirrt an.
    »Wo sind wir hier?«
    »In Kalmar ... im Krankenhaus.«
    Sie nickte.
    Auch Max sah müde aus, aber er lebte. Vendela war sich so sicher
gewesen, dass er tot war, daran konnte sie sich gut erinnern – schließlich
hatte sie am Elfenstein gestanden und sich gewünscht, dass sein Herz aufhören
würde zu schlagen. Sie hatte ihren Ehering dafür geopfert.
    Warum ist das nicht eingetreten?
    Vermutlich weil es gar keine Elfen gab, die geheime Wünsche
erfüllten. Adam Luft hatte gelogen. Aber wahrscheinlich hatte sie das die ganze
Zeit geahnt.
    Mit dem Infusionsgestell in der Hand stand sie fünf Meter von ihrem
Ehemann entfernt. Insgesamt hatte sie nicht mehr als zehn Meter zurückgelegt,
aber ihre Beine zitterten.
    »Max, was ist heute für ein Tag?«
    »Welcher Tag? Es ist Freitag ... der erste Mai.«
    »Ist hier sonst niemand auf der Station?«, fragte Vendela. »Keine
Krankenschwestern?«
    »Nicht so viele. Heute ist ja Feiertag.«
    Vendela erinnerte sich, dass Max diesen Feiertag nicht ausstehen
konnte. Er sah gequält aus.
    »Aber ich kann jemanden für dich holen«, sagte er eifrig. »Brauchst
du irgendetwas?«
    »Nein.«
    Schweigend standen sie einander gegenüber.
    »Was ist eigentlich passiert?«, fragte sie. »Ich kann mich nur
erinnern, dass ich in die Alvar gegangen bin – hat mich dort jemand gefunden?«
    Max nickte.
    »Unser Nachbar, Per Mörner. Er hat auch den Notarzt gerufen.«
    Nach einer kurzen Pause fuhr er fort.
    »Und kurz darauf benötigte er selbst einen Arzt. Er wurde von einem
Auto überfahren. Jemand hat versucht, ihn umzubringen.«
    »Per?«
    Max nickte erneut.
    »Er liegt auch hier im Krankenhaus. Aber ihm geht es schon besser,
haben die Krankenschwestern gesagt. Und seine Tochter ist ja auch da. Sie wurde
heute Morgen operiert.«
    »Und wie geht es ihr?«
    »Das weiß ich nicht ... das kann man nie so genau sagen. Es war eine
schwere Operation, aber sie ist wohl gut verlaufen.« Max machte eine Pause und
fügte hinzu: »Und wie ... wie geht es dir?«
    »Gut. Ein bisschen müde bin ich, aber eigentlich geht es mir gut.«
    Sie sah, dass Max ihr nicht glaubte, und warum sollte er das auch?
Schließlich hatte sie genau das getan, was er immer befürchtet hatte, und sich
mit Tabletten vollgepumpt.
    Ja, sie ist ziemlich krank gewesen. Aber Vendela spürte, dass die
Dunkelheit sich für immer verzogen hatte.
    »Ich muss los«, sagte sie, drehte sich langsam um und ging.
    »Willst du dich nicht setzen? Ich kann ...«
    »Nein, Max, ich muss mich wieder ins Bett legen.«
    Und dann ging sie. Die Tür zu ihrem Zimmer erschien ihr auf einmal
ziemlich weit entfernt.
    »Können wir uns unterhalten?«, fragte Max zaghaft.
    »Jetzt nicht.«
    »Wo ist dein Ring? Du hast keinen Ehering getragen, als du
eingeliefert worden bist ...«
    Vendela blieb stehen, dann sah sie über die Schulter.
    »Es tut mir leid«, antwortete sie, »aber ich habe ihn weggeworfen.«
    »Und warum?«
    »Er war wertlos für mich.«
    Mehr sagte sie nicht, sondern setzte ihren Weg fort. Sie hatte
Angst, dass Max schreiend und schimpfend hinter ihr herrennen würde. Aber
nichts dergleichen geschah.
    Als sie ihr Zimmer erreicht hatte, drehte sie sich um und sah den
Flur hinunter.
    Max war noch im Aufenthaltsraum, er saß zusammengesunken in seinem
Stuhl, hatte sich nach vorne gebeugt und die Hände auf die Knie gestützt.
    Vendela betrachtete ihn eine Weile, dann ging sie in ihr Zimmer,
legte sich aufs Bett und starrte an die Decke.
    Sie glaubte nicht mehr an die Macht der Elfen. Dennoch hatten sie,
auf andere Weise, ihren Wunsch erfüllt und Max das Herz gebrochen.

EPILOG
    A n
     diesem Tag war ablandiger Wind, der Blumendüfte aus der Alvar an die Küste
     trug.
    Per war sich nicht sicher, ob es noch Frühling war oder schon der
     Sommer auf Öland Einzug gehalten hatte. Das nannte man wohl Frühsommer. Es war
     auf jeden Fall Samstag, der 23 .
     Mai, und die Insel war grün. Im Steinbruch war es zwar nach wie vor karg und
     grau, aber auch dort hatten die ersten Grashalme ihren Weg zwischen
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