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Blutspuren

Blutspuren

Titel: Blutspuren
Autoren: Hans Girod
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vielen Betroffenen als Schikane empfunden. Und da ihr Anteil wesentlich geringer war, unterlagen sie weitgehend der übermächtigen Autorität der echten Kriminellen. Die kriminalsoziologische und psychische Struktur der »Politischen« wich im allgemeinen erheblich von der der anderen Inhaftierten ab, die zumeist durch Disozialität, Affektlabilität, Hemmungslosigkeit im Triebleben, Suchtmittelabhängigkeit, Gefühlsarmut, aber auch durch intellektuelle Defizite gekennzeichnet war.
    Die Tatsache »politischer Delinquenz« wurde durch die SED-Führung stets hartnäckig geleugnet. Kennzeichnend für diese Position ist beispielsweise die Reaktion Erich Honeckers bei einem am 6. Februar 1981 dem englischen Verleger Maxwell gewährten Interview, der den SED-Chef mit folgender Frage konfrontierte:
    »Amnesty international. Zum dritten Mal seit 1966 ist vor wenigen Tagen eine Dokumentation veröffentlicht worden, die der DDR vorhält, sie verletze internationale Verträge, die von Ihnen selbst unterzeichnet worden seien. Etwa den 1973 ratifizierten Vertrag über Bürger- und politische Rechte oder auch die Schlußakte von Helsinki. Wie stellen Sie sich zu diesem Vorwurf? Zwischen 3000 und 7000 DDR-Bürger, meint Amnesty international, seien gegenwärtig in Haft, weil sie das Land verlassen wollen. Stimmt das, und gibt es politische Gefangene in der DDR?«
    Die Menschenrechte verhöhnende Antwort Honeckers spricht für sich:
    »Offensichtlich ist diese Gesellschaft einer der vielen Vereine im Westen, die aus dunklen Quellen finanziert werden und es sich zur Aufgabe gemacht haben, anständige Staaten zu verleumden. Ich bitte Sie, sich unsere Verfassung und die Gesetze der DDR anzusehen. Sie werden finden, daß die Grundsätze des Völkerrechts in der Verfassung verankert sind. Die Angabe, daß 3000 bis 7000 Bürger der DDR aus politischen Gründen gegenwärtig in Haft seien, ist schlicht gesagt eine grobe Lüge: Allein die Differenz von 4000 zeigt, wie ernsthaft diese Leute an solche Fragen herangehen. Im übrigen können Sie davon ausgehen, daß bei uns alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind. Seit der letzten Amnestie im Jahre 1979 gibt es bei uns keinen einzigen politischen Gefangenen mehr.« (Erich Honecker »Aus meinem Leben«, Berlin 1980)
    Eine weitere Facette der Strafvollzugswirklichkeit in der DDR scheint erwähnenswert: Die kriminalsoziologische Struktur der Strafgefangenen, insbesondere in den großen Haftanstalten wie Brandenburg, Bautzen oder Torgau, wies eine erhebliche Überrepräsentierung von Gewalt- und Sexualtätern, vor allem Mördern und Totschlägern, auf.
    Das hatte verschiedene Gründe: Zum einen wurde im Sinne eines strafrechtlichen Grundtatbestandes jede vorsätzliche Tötung eines Menschen als Mord angesehen, wenn nicht die strafrechtlich privilegierenden Merkmale des Totschlags zutrafen. Und Mord wurde in der Regel mit lebenslanger Haft, bestraft. Bis zum 4. Strafrechtsänderungsgesetz vom 18. Dezember 1987 konnte bei Vorliegen bestimmter Merkmale (z. B. Tötung aus Mordlust, Habgier, niedrigen Beweggründen) sogar die Todesstrafe ausgesprochen werden, wenngleich sie deswegen letztmalig 1972 angewendet wurde.
    Hingegen lagen beim Totschlag die zwar mit geringerer Strafe belegten, aber dennoch bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug möglichen, privilegierenden Merkmale der vorsätzlichen Tötung vor (z. B. Tötung im Affekt). Daraus ergab sich, im Gegensatz zur gegenwärtigen Rechtsauffassung, die den Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung im Totschlag definiert, während der Mord die privilegierenden Tatbestandmerkmale (z. B. Tötung aus Mordlust, Habgier, niedrigen Beweggründen) enthält, eine kuriose Situation, die allen kriminologischen Realitäten widersprach: Der Anteil der Mörder in der DDR war weitaus höher als der der Totschläger.
    Zum anderen: Die langen Haftstrafen für diese Deliktgruppe und die Tatsache, daß jährlich etwa 130 vorsätzliche Tötungen verübt wurden, die durch eine beachtliche kriminalpolizeiliche Aufklärungsrate von etwa 98 Prozent für einen relativ gleichmäßigen »Nachschub« sorgten, führten zu einer deutlichen Überrepräsentation der Gewalttäter in den Vollzugseinrichtungen.
    Es ist daher erklärlich, daß mit der Zeit mehrere tausend Mörder und Totschläger gleichzeitig in Haft waren.
    Nebenbei bemerkt: Das führte zu einem positiven Effekt in der Gesellschaft. Die Rückfallquote der Kapitalverbrechen erreichte im Gegensatz zum gegenwärtigen
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