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Blutspuren

Blutspuren

Titel: Blutspuren
Autoren: Hans Girod
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Stellvertreter für politische Arbeit und der Offizier für staatsbürgerliche Erziehung und allgemeine Bildung. Für die unmittelbaren Belange der Gefangenen waren die sogenannten Erzieher zuständig, deren Tätigkeit sich an der sowjetischen Strafvollzugspädagogik orientierte. Sie hatten individuellen Kontakt zu den Inhaftierten zu unterhalten. Doch das war angesichts der desolaten Personalsituation objektiv kaum möglich, weil ein Erzieher in der Regel die Verantwortung über 70 bis 80 Gefangene ausübte. Damit funktionierte das Strafvollzugssystem nur über die weitgehende Selbstverwaltung der Insassen. Diese Situation zwang zu absolutem Gehorsam gegenüber den kleinen und großen Autoritäten, womit der Willkür Tür und Tor geöffnet war.
    Neben der harten Arbeit war das Leben auf engstem Raum von vitaler Isolation, Stumpfheit des Tagesablaufs, innerer Vereinsamung, tiefem Mißtrauen und vielfältigen Frustrationen ebenso geprägt wie von Rangkämpfen, Aggressivität und homosexueller Betätigung. Durch eine nahezu animalische, erbarmungslose Hackordnung befanden sich – im Gegensatz zu den »Langstrafern« (z. B. Gewalt- und Sexualverbrecher), die sich im Verlaufe der Zeit zumeist wichtige Posten erkämpft hatten – vor allem die Gefangenen mit kürzeren Haftzeiten in permanentem Nachteil.
    Empfindsame Naturen, die nicht in das Bild einfach strukturierter Krimineller paßten und die vielleicht erstmals in Strafhaft gerieten, erlitten mitunter ein erhebliches psychisches Trauma. Und es bedurfte schon einer stabilen Persönlichkeit, die Belastungen des Strafvollzugs schadlos zu überstehen. Ansonsten bot sich das bunte Bild der in der Psychiatrie bekannten Haftreaktionen, die sich auf abnorme Erlebnisverarbeitung gründen, oft zweckorientiert sind und glücklicherweise nur zeitweilig andauern. Sie sind abzugrenzen von den schwerwiegenden endogenen Psychosen, die wie andere Krankheiten auch im Knast auftreten können. Allerdings dauerte es mitunter längere Zeit, bis das Strafvollzugspersonal eine derartige Symptomatik erkannte und die Überführung der betroffenen Gefangenen in die psychiatrischen Hafteinrichtungen veranlaßte (z. B. psychiatrisches Haftkrankenhaus Waldheim).
    Hinzu kommt, daß eine sehr lange Haft in nicht wenigen Fällen erhebliche personale Deformationen der Gefangenen zur Folge hatte, die sie letztlich für ein geordnetes Leben »draußen« endgültig verdarben.
    Besonderes Merkmal für die sozialistische Strafvollzugspraxis war das Funktionieren eines feingesponnenen, flächendeckenden Bespitzelungsnetzes. Einerseits hatte die Arbeitsrichtung 1 der Kriminalpolizei, die verdeckte Ermittlungen führte, ihre Informanten in die Gefangenenkollektive installiert, um auf diesem Wege weitere, noch nicht bekannte Delikte aufzudecken. Andererseits verfügte die Abteilung XIV und die Hauptverwaltung U-Haft und Strafvollzug des MfS in jedem Verwahrraum über sogenannte Zelleninformatoren und inoffizielle Kontaktpersonen. Folge: Die Denunziation im großen wie im kleinen war allgegenwärtig und züchtete zusätzliches Mißtrauen.
    Ein weiterer Aspekt der DDR-Strafpolitik lag in der eigenwilligen Rechtsauffassung, nach der es angeblich keine politischen Gefangenen gab. Politisch oder weltanschaulich motivierte »Delikte« wurden schlichtweg als Verbrechen oder Vergehen gegen die DDR oder die staatliche Ordnung aufgefaßt und waren, wie es im Strafgesetzbuch formuliert wurde, »unnachsichtig zu ahnden«.
    Damit fand eine Gleichschaltung mit der allgemeinen Kriminalität statt. Die Verletzung von politischen Strafrechtstatbeständen (insbesondere der »ungesetzliche Grenzübertritt« und die »ungesetzliche Verbindungsaufnahme«) hatte besonders Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre rasant zugenommen und zu einer erhöhten Anzahl von Verurteilungen mit Freiheitsentzug geführt. Das hing mit der am 1. April 1975 von Erich Honecker unterzeichneten Schlußakte von Helsinki unmittelbar zusammen, die u. a. Ausreisemöglichkeiten zusicherte. Folgerichtig stiegen die Ausbürgerungsbegehren explosionsartig an. Deren Verwirklichung auf dem Wege der Legalität blieb allerdings in den allermeisten Fällen eine Illusion.
    Genaue Zahlen sind unbekannt, denn offizielle Angaben darüber gab es ebensowenig wie eine allgemeine Strafvollzugsstatistik.
    Die Rechtsauffassung, politische Gefangene den wegen allgemeiner Kriminalität Inhaftierten gleichzustellen und rücksichtslos in ihre Kollektive zu integrieren, wurde von
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