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Blutrote Lilien

Blutrote Lilien

Titel: Blutrote Lilien
Autoren: Kathleen Weise
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von uns nahmen. Scheinbar ziellos schlenderten wir Richtung Küche, nachdem Condé laut verkündet hatte, er habe Appetit auf frischen Ziegenkäse.
    Im Gang vor der Küche warteten wir, bis Annabelle die Tür öffnete und uns hineinließ. Die Küche war leer und an einer Luke standen bereits die verabredeten Körbe auf einer Rampe. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie uns verbergen würden, aber Annabelle zog mich energisch zur Luke hin.
    »Rasch!«, sagte sie. »Wir haben keine Zeit. Die Mägde werden gleich zurückkommen. Hier.« Sie hob den Deckel des ersten Korbes und sah mich auffordernd an.
    Es kam mir falsch vor, mich in einem Weidenkorb zu verstecken, aber eine andere Möglichkeit bot sich nicht. Noch einmal blickte ich Condé an, der mir aufmunternd zunickte. Er würde an meiner Seite bleiben und ich war froh darum.
    Umständlich kletterte ich in den Korb. Eine Decke wurde über mich gelegt, die nach Erde roch und das Atmen schwer machte. In der Nähe hörte ich Flüstern, vermutlich stieg Condé gerade in den zweiten Korb. Keine drei Herzschläge später wurde der Korb von unsichtbaren Händen in die Höhe gehoben. Vor Schreck entfuhr mir ein Keuchen und eine Männerstimme zischte: »Sch!«
    Als der Karren anfuhr, dachte ich an Manon. Was hatten die Mörder mit ihr gemacht, nachdem sie sie aus dem Schlafgemach geholt hatten? Würde sie je ein ordentliches Begräbnis erhalten? Fast wäre ich aus dem Korb gesprungen und hätte gerufen: »Halt! Bleibt stehen! Wir müssen zurück«, doch eine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir zu, dass ich bleiben sollte, wo ich war. Großvater Anne hatte seine Schlachten nicht durch unüberlegtes Handeln gewonnen. Wem wäre damit gedient, wenn ich zurückstürzte und mich umbringen ließe? Schweren Herzens blieb ich in dem Korb hocken.
    Der Karren fuhr los und der Korb wackelte bedenklich hin und her, aber er blieb stehen. Durch eine schmale Lücke im Geflecht des Korbes blickte ich nach draußen. Mein Korb stand so, dass ich über die Rückseite des Karrens schauen konnte. Hinter uns wurde die Luke zur Küche immer kleiner und ich sah, wie Annabelle davorstand. Ihr Gesicht konnte ich nicht erkennen, aber ihre hochgezogenen Schultern zeigten die Anspannung.
    Auf der Zugbrücke an der Porte de Bourbon musste der Karren mehrfach stehen bleiben, denn auch andere Kutschen wollten die Brücke überqueren und es entstand eine Schlange.
    Am Tor bellte Marschall de Vitry wie jeden Morgen Anweisungen, und als ich seine Stimme hörte, kamen mir die Tränen. Mit ihm begann und endete meine Begegnung mit dem Louvre und ich hätte ihn gern gefragt, ob er von den Vorgängen hinter den Mauern wusste. Schaute er vielleicht deshalb so griesgrämig, weil er diesem Geschwür des Hasses nicht Herr wurde? Aber es blieb keine Zeit, ihn zu fragen. Durch das winzige Loch im Korb beobachtete ich die Garde, die den Karren misstrauisch beäugte.
    Ein großer, kräftiger Soldat raunzte Georg an: »Du bist spät dran. Was hat dich aufgehalten, Mann? Sollen wir für dich vielleicht den ganzen Verkehr zum Erliegen bringen?«
    Mir blieb fast das Herz stehen, als ich sah, wie der Soldat näher kam und nach den Decken über den Körben greifen wollte.
    Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht ...
    »Was regst du dich so auf, Luis, du weißt doch, wie das ist. Man schwatzt, man tauscht sich aus, das braucht nun mal seine Zeit.«
    Der Soldat zog die Hand zurück, um sie drohend zur Faust zu ballen, die er Georg entgegenschüttelte. »Denk bloß nicht, dass ich nicht weiß, von wem du dir die Zeit vertreiben lässt, wenn du deine Sachen in die Tuilerien bringst, Mann. Aber ich sag dir, meine Schwester ist für einen wie dich viel zu schade!«
    Georg lachte und wurde unwillig weitergewinkt. Wahrscheinlich wollte der Soldat sich die Details über das Verhältnis seiner Schwester zu Georg ersparen. »Mach, dass du weiterkommst«, knurrte er und gab dem Pferd einen Klaps.
    Erleichtert atmete ich aus. Das war noch mal gut gegangen. Hinter uns wurde der Louvre immer kleiner, aber die Angst vor Entdeckung saß mir noch im Nacken und wurde erst weniger, als ich das Tor zum Louvre nicht mehr sehen konnte.
     
    In einer Kutsche war ich in Paris eingefahren und nun verließ ich es auf diese Weise. Was hätte ich nicht darum gegeben, die Zeit zurückzudrehen. Dann hätte ich so manches anders gemacht, aber diese Gedanken führten zu nichts, denn die Zeit ließ sich nun mal nicht zurückdrehen. Sie war kein aufziehbarer
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