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Blutrote Lilien

Blutrote Lilien

Titel: Blutrote Lilien
Autoren: Kathleen Weise
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bleiches Gesicht und die rot geränderten Augen nahm er nicht zur Kenntnis. Alles ging so weiter wie bisher, als wäre nichts geschehen. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien.
    Ich zwang mich, etwas von dem Brot zu essen, weil ich nicht wusste, wann wir wieder dazu kommen würden. Danach stopfte ich Geld in eine Börse, die ich in den Taschen meines Rocks versteckte, ebenso wie ein Paar Ohrringe und eine Kette, die meiner Mutter gehört hatte und die ich nicht im Louvre lassen wollte. Es fiel mir schwer genug, Orson zurückzulassen. Annabelle hatte versprochen, den Hund während meiner Abwesenheit zu sich zu nehmen und ihn zu füttern.
    Anschließend verkündete ich dem Diener, der das Essen abräumte, dass ich in die Falknerei gehen würde. Das war nicht ungewöhnlich für mich und es gab mir einen Vorwand, Mantel und Handschuhe anzuziehen. Als ich nach dem Mantel griff, fiel mein Blick auf einen kleinen dunklen Fleck am Saum, den Manon nicht herausbekommen hatte.
    Mitten in der Bewegung hielt ich inne und starrte darauf. Im Nachhinein kam mir die Begegnung mit Angoulevent wie eine Warnung vor, die ich nicht ernst genommen hatte. Schon damals hätte ich Vater davon erzählen sollen. Wahrscheinlich hatte ich dem Narren an jenem Tag wirklich das Leben gerettet.
    Als ich nach Paris gekommen war, hatte ich geglaubt, eine leuchtende Zukunft warte auf mich, und Vater würde schon irgendwie dafür sorgen, dass sie eintrat. Alles war mir großartig erschienen. Aber nun begriff ich, dass die funkelnde Herrlichkeit des Hofes eine trügerische Illusion war und dass hinter dieser Fassade Wölfe lauerten.
    Für diese Erkenntnis hatte ich teuer bezahlt. Nur durch Glück war ich dem Anschlag, der Manon das Leben gekostet hatte, entkommen und die Schuldgefühle deswegen brodelten in mir. Eines Tages würde ich die Mörder zur Rechenschaft ziehen, schwor ich mir. Sie sollten nicht ungestraft davonkommen. Vorläufig konnte ich nichts gegen sie unternehmen, aber die Zeit dafür würde kommen.
    Ich verspreche es dir, Manon.
    Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder fasste. Ein letztes Mal ging ich zu Orson und kraulte ihn hinter den Ohren. Es brach mir fast das Herz, ihn zurückzulassen, aber er konnte mich auf der Flucht nicht begleiten. Nachdem ich mich endlich von ihm gelöst hatte, nickte ich den Spielleuten zu, die mich begleiteten. Als sich die Tür zu unserem Appartement hinter mir schloss, wusste ich, dass ich diese Räume nie wieder betreten würde.
    Während wir durch den Louvre gingen, erwartete ich, jeden Moment von jemandem angehalten zu werden. Mein Herz schlug vor Aufregung in einem unregelmäßigen Rhythmus und meine Hände waren feucht vor Angst. Aber wir erreichten ohne Zwischenfälle den Schlosshof.
    Angespannt blinzelte ich in die Sonne, als ich ins Freie trat. Dieser Morgen war wolkenlos und die Helligkeit blendete mich und ließ die Umrisse des Louvre vor meinen Augen verschwimmen. Die Sonne spiegelte sich in den unzähligen Fenstern. Ein letztes Mal betrachtete ich diese Fassade, die mich bei meiner Ankunft so beeindruckt hatte und hinter der sich so Grauenvolles abspielte.
    Ich wollte niemals wieder einen Fuß hineinsetzen.
     
    An der Tür der Falknerei wartete Condé wie zufällig. Auch er war in einen dicken Mantel gegen die Kälte gehüllt. In seinem Stiefel konnte ich den Griff eines Messers entdecken. Er riskierte viel, um mir zu helfen. Sein Verhältnis zum König war ohnehin angespannt und sein unerlaubtes Entfernen vom Hof würde nur Öl ins Feuer gießen.
    Endlich begriff ich, dass seine Gleichgültigkeit mir gegenüber nur Vorsicht gewesen war.
    Als ich auf ihn zutrat, griff er nach meiner Hand und schloss fest die Finger darum. Von Weitem mochte es aussehen wie ein Gespräch zwischen Verlobten. Sein Blick tastete mein Gesicht ab und es sah aus, als wolle er etwas sagen, aber ich schüttelte den Kopf. Es gab nichts zu sagen.
    Nachdem sich Angoulevents Männer entfernt hatten, betraten wir die Falknerei, um sie durch den Hinterausgang wieder verlassen zu können. De Luyenes war nirgends zu sehen, und ich war mir sicher, dass Angoulevent ihn eingeweiht hatte, denn sonst wäre der Vogelsteller um diese Zeit schon bei den Falken anzutreffen.
    »Habt keine Angst, Charlotte«, flüsterte Condé. »Es wird gelingen.«
    Als wir an Mars vorbeikamen, blieb ich stehen.
    »Wartet. Ich kann nicht gehen, ohne mich zu verabschieden.«
    »Dafür ist keine Zeit!«
    Ich ignorierte die Warnung und nahm den Falken auf
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