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Blutrote Lilien

Blutrote Lilien

Titel: Blutrote Lilien
Autoren: Kathleen Weise
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Minnesänger sprachen, hatte ich mir anders vorgestellt. Das hieß wohl, dass ich in den Marquis nicht verliebt war. Doch wie mir meine Erzieher immer wieder gesagt hatten, Liebe war keine Voraussetzung für eine gute Ehe und Vater hielt es für das Beste, mich bald zu verheiraten, denn er sei nicht mehr der Jüngste und wolle mich versorgt wissen, behauptete er.
    Ein einziges Mal hatte ich ihm von dem Gefühl der Unruhe erzählt, das mich immer beschlich, wenn die Rede auf die bevorstehende Hochzeit kam, aber da hatte er sofort erwidert, das sei nur die Aufregung vor dem großen Tag, das werde sich legen, sobald ich erst verheiratet sei. Ich hoffte sehr, dass er recht hatte.
    Manon schimpfte noch immer vor sich hin und weißer Dampf stieg wie Wolken von ihrer Nase auf. Sie rieb die fröstelnden Hände gegeneinander und blies hinein, aber ihre Fingerspitzen waren bereits blau angelaufen.
    »Hier«, sagte ich und zog mir die Handschuhe aus Kaninchenfell von den Händen. »Nimm sie für eine Weile, meine Hände sind warm genug.«
    Einen Augenblick zögerte sie, weil es unschicklich war, dass die Herrin ohne Handschuhe war, während ihre Dienerin die Finger wärmte, aber dann siegte die Sehnsucht nach Wärme und sie streckte die Hand aus.
    »Na gut, aber nur einen Moment, dann bekommt Ihr sie wieder.«
    Ich lächelte und schob die Hände unter den Hintern, sodass sie warm blieben, während Manon zufrieden seufzte und nun sogar lächelte, als sie aus der Kutsche sah.
    »Verrückt, dieses Paris. Dieses Gewimmel! Überall Menschen, wohin man auch blickt. Man könnte meinen, man steckt mitten in einem Ameisenhaufen.«
    Kein Vergleich zu unserem ruhigen Chantilly, das wir hinter uns gelassen hatten und so schnell nicht wiedersehen würden. Wehmütig dachte ich an den weiten Park mit den mächtigen Bäumen, deren Stämme ganz mit Moos bewachsen waren, und die Falknerei, in der ein stetes Dämmerlicht herrschte. Sie würde ich am meisten vermissen. An keinem anderen Ort in Chantilly hatte ich mich so oft aufgehalten wie dort. Jeden Vogel kannte ich mit Namen und viele von ihnen hatte ich selbst abgetragen. Mars, mein Lieblingsfalke, befand sich in seinem Käfig vorn beim Kutscher. Ich hatte darauf bestanden, ihn mitzunehmen, nachdem mir Henri geschrieben hatte, dass der Hof oft Beizjagden im Wald von Fontainebleau veranstaltete. Ich hatte Mars einfach nicht zurücklassen können.
    Plötzlich konnte ich es kaum noch erwarten, dass die Kutsche am Louvre hielt. Neugierig streckte ich den Kopf zum Fenster heraus, während Manon rief: »Was macht Ihr denn da? Ihr werdet Euch erkälten!«
    Aber das war mir egal. Paris wartete auf mich.
    Ich würde den König und die Königin sehen!

- 2 -
     
    Unsere Ankunft blieb nicht unbemerkt. Obwohl die Sonne bereits unterging, herrschte an der Porte de Bourbon ein ständiges Kommen und Gehen. Das Tor lag zwischen zwei dicken Rundtürmen, es war aus eisenverstärkten, aber rostigen Bohlen und gab die Sicht auf eine Holzbrücke frei, die wiederum auf zwei Zugbrücken führte. Diese Zugbrücken spannten sich über den Wehrgraben, der um den Louvre lief.
    Dienstmägde mit großen Körben verließen das Gebäude und Männer mit Papierrollen unter den Armen rannten an uns vorbei, vertieft in Gespräche, von denen wir nur Bruchteile erhaschten. Sie alle warfen uns im Vorbeieilen neugierige Blicke zu, als wir aus der Kutsche stiegen. Aber die Garde in ihren roten Röcken mit den blauen Litzen trieb sie zum Weitergehen an.
    »Madame, so gehen Sie doch weiter, Sie behindern ja den ganzen Verkehr!«
    Nervös zupfte ich meinen Hut zurecht, unter dem schon die dicken blonden Strähnen hervorrutschten. Staunend sah ich an der Fassade empor. Das Licht der untergehenden Sonne färbte die Fenster rot und schien die Steinfiguren zum Leben zu erwecken.
    Plötzlich hörte ich meinen Namen. Es dauerte einen Moment, bis ich den Rufer ausmachte. Es war Henri, der an einem Fenster im ersten Stock stand und mir zuwinkte. Kaum hatte ich jedoch die Hand erhoben, schloss er auch schon wieder das Fenster. Kurz darauf tauchte er in der Türöffnung hinter dem Toreingang auf.
    »Geht ruhig schon vor, ich kümmere mich darum, dass das Gepäck abgeladen wird«, sagte Manon und scheuchte mich vorwärts, Henri entgegen, der inzwischen am Tor angekommen war.
    Fast hätte ich meinen eigenen Bruder nicht erkannt. Er sah gut aus und war nun mindestens einen Kopf größer als ich. Seine Schultern waren breiter geworden und seine
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