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Blutrote Lilien

Blutrote Lilien

Titel: Blutrote Lilien
Autoren: Kathleen Weise
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Vater über sie sprach, waren selten. Dass es immer dann geschah, wenn er sich über einen von uns ärgerte, war mir erst aufgefallen, als ich älter geworden war.
    Nachdenklich betrachtete ich meinen Bruder. Früher hatte Henri in einem Streit irgendwann nachgegeben und auch jetzt senkte er das Kinn, als wäre die Diskussion beendet, doch mir fiel auf, dass er Vater dieses Mal mit einem Blick bedachte, den ich noch nie an ihm gesehen hatte. Es steckte etwas Lauerndes in ihm, das mich fröstelte, und unwillkürlich musste ich wieder an die Hunde auf der Straße denken und an die Innereien im Schnee.
    Als Vater und Henri sich einige Zeit später verabschiedeten, war die Stimmung gedrückt und auch meine Berichte von daheim hatten daran nichts geändert. So hatte ich mir meine Ankunft nicht vorgestellt und die düsteren Gedanken förderten meine Unruhe. Grübelnd trat ich ans Fenster und sah hinüber auf die andere Seite des Louvre, doch erschrocken stellte ich fest, dass dort ebenfalls jemand am Fenster stand.
    Aufgrund der schmalen Silhouette, die auf ein Wams deutete, vermutete ich einen Mann. Ebenso reglos wie ich stand er am Fenster und der Schein der Lampe hinter ihm tauchte ihn in Schatten, die unruhig hin und her flackerten. Wie zwei Figuren in einem Puppenspiel standen wir einander gegenüber und keiner von uns beiden rührte sich, während zu unseren Füßen unter de Vitrys strengen Augen die Taggarde von der Nachtgarde abgelöst wurde. Obwohl ich das Gesicht des Schattens nicht erkennen konnte, hatte ich doch das Gefühl, dass er mich intensiv beobachtete. Eine Gänsehaut überlief meine Arme.
    Welche Gedanken hatten ihn ans Fenster getrieben? Ob er genau wie ich diese leise Besorgnis verspürte, seit er den Louvre betreten hatte? Ob er einsam war?
    Gemeinsam standen wir in der hereinbrechenden Nacht, ohne zu wissen, was die Zeit uns bringen würde, und auf einmal fühlte ich mich ihm verbunden. Später konnte ich nicht mehr sagen, was mich dazu bewog, die Hand zum Gruß zu heben, als würden wir uns kennen. Vielleicht lag es daran, dass dieser Schatten genauso verloren aussah, wie ich mich auf einmal fühlte.
    Zu meinem großen Erstaunen hob der Schatten ebenfalls die Hand wie ein Spiegelbild, und als ich mit den Fingerspitzen das kalte Glas berührte, sah ich, wie er es mir auf der anderen Seite gleichtat. Trotz des Glases und der Nacht zwischen uns, wurden meine Fingerspitzen warm, als würde ich wirklich seine Haut berühren.
    Wer er wohl war?
    Ich hätte gern mit ihm geredet. Ihn gefragt, warum er dort am Fenster stand und ob der Louvre eines Tages nicht mehr wie ein Labyrinth wirken würde, aber in diesem Moment trat Manon ins Zimmer und zerbrach den Bann. Als sie sprach, zuckte ich erschrocken zusammen. Meine Hand rutschte vom Glas und verlor die Wärme.
    »Die Schränke sind zu klein, ist das zu glauben? Man sollte meinen, in diesem riesigen Schloss gäbe es wohl ausreichend Platz für Schränke, aber nein. Sie sind winzig!«, beschwerte sich Manon und richtete dabei ihren Finger anklagend auf mich, als hätte ich irgendwie dazu beigetragen, die Schränke absichtlich zu verkleinern, nur um meine Zofe zu ärgern.
    »Dann lass doch einen Teil der Sachen in den Koffern, ich brauche sie sowieso nicht alle.«
    »Das kommt überhaupt nicht infrage, Ihr könnt schließlich nicht immer in denselben Kleidern herumlaufen und es werden ja noch weitere hinzukommen. Der Connétable hätte daran denken müssen, für Euch einen weiteren Schrank anzufordern. Aber ich sage ja, man darf den Männern nicht die Ordnung eines Haushalts überlassen.« Sie schüttelte den Kopf und sah ein bisschen unglücklich zu der Tür, hinter der das Schrankproblem lauerte. »Wenn Eure Mutter ...« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, warf mir nur einen entschuldigenden Blick zu.
    Bedrückt drehte ich mich wieder zum Fenster, aber mein mysteriöser Schatten war verschwunden. Auch die Lichter waren gelöscht und man konnte fast meinen, er hätte nie dort gestanden, so dunkel zeigte sich die Fassade auf der anderen Seite.

- 4 -
     
    Es war finstere Nacht, als Manon mich weckte. Zumindest kam es mir so vor, denn ich war noch genauso müde wie beim Zubettgehen. Der Glühwein hatte mir einen schweren Kopf gemacht.
    »Es kann unmöglich schon Morgen sein, Manon«, murmelte ich in die Kissen und drehte mich vom Licht fort. Der weiche Samt schmiegte sich an meine Wange und ein süßer Duft stieg mir in die Nase, weil Manon die Kissen nach dem
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