Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit
Autoren: P.B. RYAN
Vom Netzwerk:
ihre Richtung, hielt sich schützend die Hand über die Augen und winkte ihnen dann zu. Nell hatte sich insgeheim gefragt, ob sie ihn wohl hier treffen würden, denn wenngleich dies ihr und Wills erster Besuch von Virginia Kimballs letzter Ruhestätte war, so wusste sie doch, dass Thurston auch noch sechs Wochen nach der Beerdigung fast täglich an ihr Grab kam.
    â€žWürdest du die wohl für mich tragen?“, fragte Will Gracie, als er seine mitgebrachten Blumen aufhob, die während der Fahrt am Boden des Lakaiensitzes gelegen hatten.
    Gracies Augen wurden ganz groß, als sie den Strauß entgegennahm, der wirklich riesig war und mit einem karminroten Band zusammengehalten wurde. „Oh, sind die schön!“, rief sie. „Das ist das Schönste, was ich jemals gesehen habe!“
    Sie trafen Thurston auf halber Höhe des Weges, der zum Hauptportal führte. Thurston zog seinen Hut vor Nell und Gracie und fragte: „Und wer ist denn diese reizende junge Dame?“
    â€žGrace Elizabeth Lindleigh Hewitt“, sagte Gracie.
    â€žSagtest du Hewitt? Eine Verwandte von Ihnen?“, wandte er sich an Will.
    â€žSie ist meine …“ Will zögerte, hatte er es doch noch nie gemocht, die Unwahrheit zu sagen, zumal den Menschen gegenüber, denen er in aufrichtiger Freundschaft verbunden war. Und Thurstons Freundschaft mit Nell und Will war an jenem Tag besiegelt worden, da sie ihm das Rote Buch gegeben hatten – eine Geste der Zuneigung und des Vertrauens, die ihn zu Tränen gerührt hatte. Seitdem hatten sie einander regelmäßig gesehen.
    â€žGracie ist die Adoptivtochter seiner Mutter“, erklärte nun Nell; es war die Wahrheit, wenngleich eine unbestimmte und lückenhafte Variante der Wahrheit. „Und ich bin ihre Gouvernante.“
    â€žWelch eine beneidenswerte Aufgabe“, befand Thurston. Der Dramatiker beugte sich zu Gracie hinab und meinte: „Da haben Sie aber einen ganz schön großen Blumenstrauß, Miss Hewitt.“
    â€žDer ist für die Dame, die jetzt im Himmel ist“, erwiderte Gracie.
    Thurston presste sich die Hand auf den Steiß und richtete sich langsam wieder auf. Die kindlich unbekümmerte Äußerung entlockte ihm ein Lächeln. „Welch eine aufmerksame Geste.“ An Nell und Will gewandt meinte er: „Das Grabmal steht jetzt.“
    â€žWie schön. Wir sind schon sehr gespannt darauf“, sagte Nell. Thurston hatte Orville Pratt der Verantwortung enthoben, einen Gedenkstein für Mrs. Kimball in Auftrag zu geben, und Mr. Pratt hatte sich seiner Pflicht geradezu freudig entledigt.
    â€žJa, sagen Sie mal, Hewitt“, rief Thurston nun aus. „Ein richtig flottes Halstuch haben Sie da – wirklich sehr flott. Wie schön, dass auch Sie mal ein wenig Stil zeigen.“
    â€žÃ„h … danke“, sagte Will und rückte das gelb und orange gestreifte Seidentuch zurecht, das er um den Hals gebunden trug.
    â€žDas hab’ ich ihm gemacht“, verkündete Gracie stolz. „Zu seinem Geburtstag. Und Miss Sweeney hat ein Bild von mir gemalt und es in einen goldenen Rahmen getan und es ihm für sein neues Haus geschenkt.“
    â€žSehr schön“, lobte Thurston. „Ja, wann hatten Sie denn Geburtstag, alter Junge, und warum habe ich nichts davon erfahren?“
    Nell antwortete für Will: „Gestern – aber er wollte kein Aufhebens darum machen.“
    â€žUnd so kam es“, meinte Will, „dass diese beiden unverschämten Damen sich meinen Wünschen widersetzt und sich einfach erdreistet haben, ein viel zu üppiges Geburtstagsessen in meiner nagelneuen Küche zuzubereiten.“
    â€žWir mussten sogar unsere Töpfe und Pfannen mitbringen!“, rief Gracie vergnügt. „Weil Onkel Will nämlich keine hat, und wir haben auf einer Decke im Garten gegessen, weil er auch keinen Tisch im Speisezimmer hat, und keine Stühle hat er auch nicht.“
    â€žUnd auch keine Stühle hat“, sagte Nell.
    â€žUnd auch keine Stühle hat. Aber wir haben Kerzen und Blumen auf die Decke gestellt, ganz so wie auf einen Tisch, und es sah ganz, ganz schön aus, als die Sonne untergegangen ist.“ Gracie hüpfte auf und ab, wie sie es meist machte, wenn sie aufgeregt war. „Miss Sweeney hat Austernsuppe und Blaubarsch gemacht und Rinderfleisch mit Pilzen und Apfelkrapfen – für mich, weil ich die ganz doll
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher