Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutlinie

Blutlinie

Titel: Blutlinie
Autoren: Kim Jones
Vom Netzwerk:
Glücksgefühl und flammender Schmerz abwechselten. Ich kam mir oft vor wie ein Teenager, der ich nun einmal nicht mehr war, getrieben von Feigheit und Scheu. Verdammt, ich war eine Frau, und kein Kind mehr, jedoch zog ich mich in irgendwelche Märchenwelten zurück, in denen ich die Heldin war, in denen ich den Ton angab. Das Wunderbare war, dass ich die Handlung steuerte. Wenn mich also ein Mann faszinierte, legte ich fest, was er für mich und mir tat. Was war schlimm daran?
    Ich grübelte noch ein wenig und beschloss, der Realität eine Chance zu geben. Wenn der morgige Abend scheiße verlief, konnte ich immer noch in meine Welt zurückkehren und es als ‚Dumm gelaufen’ abhaken.
    Zischend stieß ich Luft aus.
    „Also gut“, gab ich mich geschlagen.
    Mary sprang auf, umarmte mich freudestrahlend und überlegte dann mit gerunzelter Stirn.
    „Ich bin halb sieben da und helfe dir beim Ankleiden.“
„Sehe ich aus wie ein Kleinkind? Das schaffe ich noch selbst.“
    „Das glaube ich dir, aber ich möchte, dass du auffällst.“
    Sie nickte eifrig.
    „Das kannst du dir abschminken!“
    „Wir werden sehen.“
    Mary zwinkerte mir glücklich zu.
     
    Eingewickelt in meine violette Lieblingsdecke, bekleidet mit einem eine Nummer zu großen hellblauen Hausanzug und dicken Strümpfen, saß ich vor dem Fernseher. Ein großzügiges Stück Hackbraten dampfte auf meinem Teller, eine zuckerfreie Colaflasche auf dem Tisch, so läutete ich meinen wohlverdienten Abend ein. Ich seufzte, nahm ein wenig Braten auf die Gabel, pustete und ließ ihn mir im Mund zergehen. Ich sollte öfter kochen dachte ich gerade, als das Telefon klingelte.
    „Hallo?“
    „Hey, Schatz!“, rief eine fröhliche Stimme am anderen Ende der Leitung.
    „Hallo, Dad!“
    Ich lächelte und sah ihn vor mir. Seine warmen, braunen Augen, das verschmitzte Gesicht, wenn er sich einen Spaß erlaubte und Mom ihn tadelte, was ihn noch mehr zum Lachen brachte.
    „Wie geht’s dir, Süße?“
    „Ganz gut, und euch?“
    „Bei uns ist alles in Ordnung. Deine Mutter steht gerade in der Küche um meine Fleischeslust zu besänftigen.“
    Ich lächelte.
    „Na dann lasst es euch gleich schmecken. Ich habe heute auch mal wieder gekocht. Hackbraten à la Virginia.“
    „Das klingt lecker“, schmunzelte er. „Und sonst? Was gibt es Neues?“
    Ich atmete auf und überlegte.
    „Eigentlich nichts Besonderes. Oh, ich soll dich von Mrs. Perkins schön grüßen. Sie hat sich ein neues Handarbeitsbuch bei mir gekauft.“
    „Versucht sie immer noch, einen Schal gerade zu stricken?“
    „Sie ist besser geworden“, grinste ich und aß ein Stück vom Braten.
    „Was machst du am Wochenende?“
    „Ich gehe mit Mary aus, tanzen…“
    Das letzte Wort hatte ich mit Absicht in die Länge gezogen. Mein Vater kannte mich bestens, Samuel besaß feine Antennen.
    „Wie lange musste sie dich überreden?“
    Seine Stimme hob sich, er riss sich zusammen, um nicht laut zu lachen.
    „Diesmal nicht so lange, ich glaube, ich muss einfach mal raus. Weißt du?“, sagte ich nachdenklich und kaute auf dem Stück Fleisch herum.
    „Natürlich, mein Schatz. Ich finde es wunderbar, dass du ausgehst. Amüsiere dich gut. Aber sei vorsichtig, okay?“
    Seine warme Stimme ließ mich die Sehnsucht nach ihm noch mehr fühlen, jedoch hörte ich eine gewisse Angespanntheit heraus.
    „Natürlich, das weißt du doch“, sagte ich schnell.
    Ich nahm mir vor, sie bald zu besuchen, bisher hatten wir uns einfach zu wenig gesehen. Meistens waren sie zu mir gekommen, nur einmal war ich an der Küste gewesen. Und damals hatten sie sich merkwürdig aufgeführt. Regelrecht durcheinander und zerstreut war mir meine Mutter vorgekommen. Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet. Doch wenn ich wie jetzt daran dachte, schien mich mein Eindruck nicht getäuscht zu haben. Oder das hatte sicher an der harten Arbeit gelegen, die sie andauernd verrichten musste, war ein anderer Gedankengang von mir gewesen.
    Ich räusperte mich.
    „Und was macht ihr?“
    „Das Restaurant hat am Wochenende die besten Umsätze, wir müssen also geöffnet haben. Deine Mutter wird mich schon herumscheuchen.“
    Ich stellte mir sie vor, mit ihren leuchtend blauen Augen, den blonden Haaren und ihrer unverwechselbaren Art. Der Name Claire passte einfach zu ihr. Sie war eine starke Persönlichkeit, die ihren Weg ging, nie Angst zu haben schien und immer nach neuen Herausforderungen suchte. Oft hatte ich mir gewünscht, wie sie zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher