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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Autoren: Marlene Faro
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an.
    Pestallozzi
war um die Kurve gebogen, und innerhalb weniger Herzschläge waren das Auto und die
Kollegen, die Bank und der Mann darauf verschwunden. Vielleicht spalte ich mich
ja langsam auf, dachte er. Bei seinen Fällen hatte er immer wieder mit diesem Phänomen
zu tun, Menschen, die unfassbare Scheußlichkeiten erlebt hatten, entschwanden plötzlich
der Realität. Werde ich langsam verrückt? Wie lange kann man diesen Job machen,
ohne darüber den Verstand zu verlieren? Saufen hilft nicht, das habe ich schon probiert.
Tabletten finde ich zum Kotzen, Antidepressiva, nein danke. Und jetzt gehe ich da
auf diesem Waldweg und die Vögel zwitschern, es fehlt nur noch ein Reh, das durch
die Büsche springt. Der da oben auf der Bank, der ist auch durch diesen Wald gewandert,
dabei war er schon ein uralter Mann, über 90, Näheres werde ich ja bald wissen.
Und diese Frau, die ihn gefunden hat, diese Kathi, die ist mit über 80 Jahren da
hinaufgestiegen. Das muss ein zäher Menschenschlag sein, der in dieser Gegend lebt.
Ob sich die beiden treffen wollten? Ein seltsames Zusammentreffen ist das ja schon.
Ein alter Mann und eine alte Frau im Wald. Ob sie sich von früher gekannt haben?
War da noch eine Rechnung offen? Verschmähte Liebe, die nach fast einem Jahrhundert
noch immer nicht verziehen war?
    Beinahe
hätte er die Abzweigung auf der rechten Seite übersehen, wo ein steiler Steig von
den Serpentinen des Wanderweges wegführte. Er rutschte über Wurzelwerk, das aus
dem moosigen Boden drängte, seine glatten Schuhsohlen waren auf so eine Kletterpartie
nicht vorbereitet. Pestallozzi fluchte leise und stützte sich mit den Händen an
einem Baumstamm ab. Es raschelte und knackte, ein Rinnsal bahnte sich den Weg zwischen
Steinen und Flechten und braun vergilbten Blättern. Schon nach wenigen Metern waren
seine Schuhe nass und seine Hosenbeine fleckig. Selber schuld, dachte er. Zum Glück
konnte ihn Iris jetzt nicht sehen, seine Exfrau. Die hätte ihren Spaß daran gehabt.
Und dann hätte sie ihre Augenbrauen in die Höhe gezogen, auf diese maliziöse Art,
die ihn immer zur Weißglut getrieben hatte. »Ist denn das wirklich nötig?«, hätte
sie gefragt. »Bei CSI nämlich …«
    Genau, bei
CSI hätte ein Detective mit verspiegelten Sonnenbrillen und im Armani-Anzug ganz
bestimmt den winzigen Halm in der Ohrmuschel des Opfers entdeckt und unverzüglich
zur Analyse ins Labor gebracht, wo sich innerhalb von wenigen Minuten herausgestellt
hätte, dass der Halm eigentlich das Bein einer Blattlaus war, die nur auf dem weltweit
einzigartigen Farn im Garten des Nachbarn vom Opfer zu finden war. Dazu wären ein
paar perfekt geföhnte weibliche Detectives auf High Heels durch die Blutlachen gestöckelt
und hätten dem Chef ihre messerscharfen Beobachtungen zugehaucht. Nach 45 Minuten
war der Täter ermittelt, jedes Mal, und Iris hatte vielsagend geseufzt und zu einem
anderen Programm weitergezappt. Er hatte ihr einfach nicht vermitteln können, wie
grotesk diese Serien doch waren. Und dass er keine einzige Frau kannte, die auf
High Heels ihren Dienst versah. Sondern nur Kolleginnen, die fast ausnahmslos alleinerziehende
Mütter waren und denen der Schweiß ausbrach, wenn ihr Kind in einer heißen Ermittlungsphase
an Angina erkrankte. Irgendwann war es dann auch nicht mehr wichtig gewesen, was
sie über ihn und seine Arbeit …
    Der Steig
endete so abrupt, wie er begonnen hatte, und Pestallozzi hob die Hand, um das grelle
Sonnenlicht abzuwehren, das ihm nach dem Dämmerlicht des Waldes in die Augen stach.
Vor ihm lag eine sanft abfallende Wiese, der Weg führte durch ein Gatter zu einem
adretten Bauernhof mit üppig blühenden roten und weißen Begonien auf dem Holzbalkon
im ersten Stock. Ein Geruch war nicht zu verdrängen, den wohl jeder als Gestank
bezeichnet hätte, aber Pestallozzi erschien er wie eine frische Wolke nach dem Geruch
von Blut und Kot, der noch immer in seiner Nase brannte. Frisch gedüngte Felder,
ein Mann in Hemdsärmeln rumpelte mit seinem Traktor über die Furchen, hier verstand
einer sein Geschäft. Ein semmelbrauner Hund bellte hinter dem Gatter, aber er wedelte
gleichzeitig mit dem Schwanz. Pestallozzi öffnete vorsichtig das Gatter, betrat
das Hofareal und schloss das hölzerne Tor wieder hinter sich. Dann streckte er die
Hand nach dem Hund aus. Der kam zögernd näher, roch an der Hand und entschloss sich,
mit dem Bellen aufzuhören. Pestallozzi liebte Hunde, irgendwann würde er selbst
einen haben. Er
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