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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Autoren: Marlene Faro
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alten Mannes war schmerzverzerrt, sein Kiefer wirkte, als ob er
mit aller Macht die Zähne zusammengebissen hätte. Beeindruckend, dachte Pestallozzi,
jeder andere hätte bestimmt noch versucht, um Hilfe zu schreien. Aber der da, der
hätte sich wohl lieber die Zunge abgebissen. Und dann vermeinte er noch einen Zug
im Gesicht des Mannes zu entdecken, der so qualvolle letzte Minuten seines Lebens
durchlitten hatte. Das Gesicht des Mannes wirkte überrascht. Überrascht, fassungslos,
überrumpelt. Und immer noch überheblich. Seine Augen waren weit geöffnet, Fliegen
krabbelten über sein Gesicht. Pestallozzi wedelte sie neuerlich davon. Mehr konnte
er für den Baron Gleinegg nicht mehr tun. Er hatte auch nicht das Bedürfnis danach.
Er erhob sich mit knackenden Gelenken und hoffte, dass die Frau, die neben ihm kniete,
nichts gehört hatte.
    »Kannst
du mir schon etwas sagen, Lisa?«
    »Erwürgt
ist er nicht worden«, sagte Lisa, Frau Dr. Lisa Kleinschmidt.
    Pestallozzi
antwortete nicht.
    »Entschuldige«,
sagte die Frau, »das macht einfach die Hitze.« Sie schwieg wieder.
    »Schon gut«,
sagte Pestallozzi.
    Die Gerichtsmedizinerin
stupste mit einer behandschuhten Fingerspitze sanft gegen die Augäpfel des toten
Mannes, dann betastete sie seine Kiefermuskeln mit beiden Händen. »Das muss so vor
zwei bis drei Stunden passiert sein«, sagte sie. »Allerhöchstens.«
    Pestallozzi
nickte. Am Sonntagvormittag, noch vor dem Zwölfuhrläuten also.
    »Wann werden
deine Leute da sein? Wir sollten ihn fortschaffen, sobald die Spurensicherung fertig
ist. Sonst fressen ihn noch die Fliegen auf.«
    »Die sind
schon im Anmarsch. Aber heute ist Sonntag, und du weißt ja, was das heißt. Urlauberschichtwechsel.
Auf der Autobahn bei Mondsee ist in der Früh ein rumänischer Bus gegen eine Leitplanke
geknallt und hat sich überschlagen, die haben den ganzen Vormittag nur Schwerverletzte
und Leichen geborgen. Aber sie müssten innerhalb der nächsten halben Stunde hier
sein.«
    »Geht in
Ordnung.«
    Er nickte
Leo, seinem Assistenten, zu, der daraufhin die Kamera zückte, und wandte sich wieder
an die beiden Männer, die wenige Meter hinter ihm standen.
    »Wer ist
diese Frau, die ihn gefunden hat?«
    Krinzinger
trat einen Schritt vor.
    »Die alte
Kathi, das heißt, Katharina Luggauer. Sie ist schon über 80, aber im Sommer hilft
sie immer noch im ›Kaiserpark‹ aus, in der Küche. Wie sie den Ba…, wie sie den Herrn
Gleinegg gefunden hat, ist sie runter zum Loibner, das ist der nächste Bauer unten
am Weg, und hat Alarm geschlagen.«
    »Hat sie
kein Handy dabei gehabt?«
    Jetzt konnte
sich endlich auch Krinzinger ein leichtes Grinsen erlauben. »Die alte Kathi hat
bestimmt kein Handy dabei, wenn sie zur Kapelle geht.«
    »Natürlich,
dumm von mir.«
    Krinzinger
blieb der Mund offen. War dieses Eingeständnis jetzt ernst gemeint oder wollte ihn
dieser Oberkapo auf den Arm nehmen?
    »Und wo
ist sie jetzt?«
    »Sie sitzt
unten beim Loibner in der Stube.«
    »Wie weit
ist das zu Fuß?«
    »Zu Fuß?«
    Verdammt,
Krinzinger merkte ja selbst, dass er wie die Karikatur von einem beschränkten Dorfgendarm
klang. Er wünschte sich einfach nur weit weg, nach Hause auf seine Veranda, wo ihm
seine Frau ein kühles Bier brachte, wenn sie ausnahmsweise einmal guter Laune war,
oder, besser noch, an die Adria. Jetzt in einem Liegestuhl dösen und dann im warmen
Wasser schnorcheln. Und sich nicht mit diesen möchtegerncoolen Typen herumplagen
müssen. Schon in der Schule hatte er nie gewusst, wann etwas ernst gemeint oder
bloß ein Scherz war. Als ihm zum Beispiel damals nach dem Sexualkundeunterricht
der Gottlieb erzählt hatte, dass der Penis wachsen würde, wenn man lebendige Regenwürmer

    »Inspektor
Krinzinger?«
    »Äh ja,
natürlich, Verzeihung. Ich habe nur kurz über den besten Weg nachgedacht. Also wenn
man flott abwärts geht und dann rechts den Steig durch den Wald nimmt, dann kann
man in weniger als 15 Minuten …«
    »Danke,
Inspektor.«
    Pestallozzi
wandte sich neuerlich an seinen Assistenten.
    »Leo, du
kümmerst dich um die Kollegen von der Spurensicherung. Ich gehe ein paar Schritte.«
    Leo Attwenger
nickte und konzentrierte sich auf das nächste Motiv, Grasbüschel rund um die Bank.
Dann war der Chefinspektor verschwunden. Krinzinger und Gmoser blickten ihm nach.
    »Und jetzt?«,
fragte Gmoser frech.
    Woher soll
ich das wissen, hätte Krinzinger ihn am liebsten angeschrien. Aber stattdessen zündete
er sich nur eine Zigarette
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