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Bluterde

Bluterde

Titel: Bluterde
Autoren: Claudia Praxmayer
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sie zu müde zum Duschen, doch sie wusste, dass sie es nicht ertragen könnte, klebrig und verschwitzt in ihrem Bett zu liegen. Sie ließ das warme Wasser lange über ihren verspannten Nacken laufen, bevor sie ihre kurzen, dunklen Haare unter einem Schaumberg begrub. In ein Badetuch gehüllt ging sie auf ihrem Weg ins Schlafzimmer am Anrufbeantworter vorbei. Das rote Licht blinkte. Zwei neue Nachrichten. Vermutlich Jens, der schon vor ein paar Stunden versucht hatte, sie auf dem Handy zu erreichen. Aber sie hatte keine Lust, die Sprachkonserve abzuhören, und nahm sich vor, ihn am nächsten Tag anzurufen.
    Erschöpft in ihr Kissen geschmiegt, ließ sie den Abend mit McAllister noch einmal Revue passieren. Gesprächsfetzen summten wie Bienen in ihrem Kopf und langsam entzogen sich die Gedanken ihrer Kontrolle. Der Engländer hatte es geschafft, sie zu beeindrucken. Sie glitt hinüber in den Schlaf und träumte von britischen Geheimagenten, die sich eine Verfolgungsjagd mit einem Gorilla lieferten.
     
    Am nächsten Morgen stand Lea im Gedränge an der S-Bahn-Station Hackescher Markt. Schüler mit schweren Ranzen, Arbeiter in Blaumännern, sorgfältig geschminkte Frauen und Menschen mit grauen Gesichtern und Klamotten wogten um sie herum. Sie bemerkte es kaum. Wenigstens hatte sie bis zum Savignyplatz noch sieben Stationen Zeit, wach zu werden. Sie zwang sich, gedanklich ihren Tag zu strukturieren. Die morgendliche Tasse Kaffee im Büro war das Erste, was ihr dazu einfiel. Dann Post und eMails abarbeiten, danach Meeting mit Dagmar und Bodo. Die Statusbesprechung zum Kongo-Projekt mit den beiden Gründern der Wildlife Protection Society oder WPS, wie alle im Büro die Organisation abkürzten, würde bestimmt eine Stunde dauern. Kurze Mittagspause, danach musste sie dringend an ihrem Blog arbeiten. »Gorilla Talk« war eine Herzensangelegenheit. Vor knapp einem Jahr hatte sie begonnen, über die bedrohten Grauergorillas und die schwierige Arbeit ihres Kollegen Femi Oranghi und seiner Ranger in einem der gefährlichsten Länder der Welt zu bloggen. Lea war klar, wie wichtig das weltweite Netz für WPS und die Projekte war. Der Erfolg gab ihr recht. Mittlerweile verfolgten über achthundert Menschen ihren Blog und kommentierten das Geschriebene. Natürlich waren auch Spinner darunter, die sich mit unqualifizierten Kommentaren zu Wort meldeten. Aber die meisten Leser waren ernsthaft am Schicksal der Tiere und ihres Lebensraums interessiert. Lea schrak hoch. Über ihre Grübeleien hätte sie um ein Haar ihre Station verpasst. Schnell raffte sie ihre Sachen zusammen und sprang in letzter Minute aus der Bahn. Draußen erwartete sie die kühle Aprilluft, die den letzten Rest ihrer Schlaftrunkenheit vertrieb. Fröstelnd zog sie ihre Strickjacke enger um sich und machte sich auf den Weg zum Büro. Im Treppenhaus stieß sie beinahe mit Dagmar Elbmeier zusammen.
    »Morgen, Lea!« Die rundliche Frau musterte sie von oben bis unten und schmunzelte amüsiert.
    »So verpennt, wie du aussiehst, hast du heute Nacht wohl zu viel Sex und zu wenig Schlaf gehabt?«
    Lea mochte die raubeinige Geschäftsführerin. Wäre sie ihr nicht vor zwei Jahren auf einem Symposium in Hamburg in die Arme gelaufen, würde sie vermutlich immer noch halbherzig ihrem Laborjob am Max-Planck-Institut in Tübingen nachgehen. Evolutionsbiologie. Die Entscheidung, ihren Job und ihre Freunde für den Artenschutz aufzugeben, war ihr anfangs schwergefallen. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, ihren Traum zu leben. Tagelang hatte ihre Vernunft gegen sie gearbeitet. Sei nicht dumm, Lea! Renommiertes Institut, sicherer Job, anständige Bezahlung. Was willst du mehr? Eine Endlosschleife von Existenzangst getriebener Beweisführung. Erst eine Flasche Rotwein konnte die nörgelnde Stimme zum Schweigen bringen. Lea erinnerte sich daran, was ihr Großvater über wahre Berufung und Leidenschaft erzählt hatte. Noch in der gleichen Nacht setzte sie sich, beschwipst, wie sie war, an den Rechner und schrieb Dagmar eine eMail. Sie hatte ihre Zusage nie bereut.
    »Schön wär’s, aber ich habe mir die halbe Nacht mit einem Typen von Interpol um die Ohren geschlagen. Und bevor du auf dumme Gedanken kommst: rein geschäftlich natürlich.«
    Dagmar blieb auf der Treppe stehen und drehte sich schwer atmend zu ihr um. Eine Strähne hatte sich aus ihrem hochgesteckten, roten Haar gelöst.
    »Interpol? Was hast du geschäftlich mit Interpol zu tun?« Lea verdrehte die Augen und
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