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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide
Autoren: Qiu Xiaolong
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um eine rasche Aufklärung geht.« Dann verkündete er in offiziellem Ton: »Inspektor Liao und Hauptwachtmeister Yu, Sie werden gemeinsam die Leitung des Sondereinsatzkommandos übernehmen.«
    Erst nachdem der Parteisekretär das Büro verlassen hatte, konnten die beiden Polizisten den Fall ernsthaft besprechen.
    »Ich weiß bislang nur wenig über die Morde«, begann Yu, »über das erste Opfer praktisch gar nichts.«
    »Hier ist die Akte des ersten Falls.« Liao reichte ihm einen dicken Ordner. »Über den zweiten sammeln wir derzeit noch Informationen.«
    Yu nahm ein vergrößertes Foto der ersten Leiche zur Hand. Das Gesicht der jungen Frau war teilweise von ihrem schwarzen Haar verdeckt; sie hatte eine gute Figur, deren Rundungen von dem engen Kleid noch betont wurden.
    »Den Blutergüssen an Armen und Beinen nach zu urteilen«, sagte Liao, »ist sie vergewaltigt worden. In ihrer Vagina wurden allerdings keine Samen- oder Sekretspuren gefunden. Ein Kondom haben die Pathologen ausgeschlossen. Das hätte Reibungsspuren hinterlassen. Was immer er ihr angetan haben mag, anschließend hat er der erstarrenden Leiche grob und mit offensichtlicher Eile das Kleid angezogen. Das erklärt die aufgerissenen Seitenschlitze und die losen Knöpfe.«
    »Das rote Kleid kann wohl nicht ihr eigenes gewesen sein«, bemerkte Yu, »wenn die zweite Leiche in einem identischen qipao gefunden wurde.«
    »Nein, es war nicht ihr Kleid.«
    Yu sah sich die eingerissenen Schlitze auf dem Bild genauer an. Warum war jemand, der sich die Mühe gemacht hatte, vorab ein so teures, modisches Kleid zu besorgen, anschließend so rücksichtslos damit umgegangen, und das gleich zweimal?
    »Wurden die Seitenschlitze auch beim zweiten Opfer aufgerissen?«
    »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, erwiderte Liao gereizt.
    »Wann wurde die Identität des ersten Opfers festgestellt?«
    »Erst drei Tage nachdem wir sie entdeckt hatten. Tian Mo, dreiundzwanzig Jahre alt. Man nannte sie Jasmine. Sie arbeitete im Hotel Kranich unweit der Kreuzung Guangxi und Jingling Lu. Sie lebte bei ihrem gelähmten Vater. Nachbarn und Kollegen bestätigen einmütig, sie sei ein freundliches, fleißiges Mädchen gewesen. Sie hatte keinen Freund, und wer sie näher kannte, hält es für ausgeschlossen, daß sie Feinde hatte.«
    »Der Mörder muß die Leiche aus einem Auto geworfen haben.«
    »Ganz offensichtlich.«
    »Ein Taxifahrer oder der Halter eines Privatwagens?«
    »Taxifahrer arbeiten in Schichten von jeweils zwölf Stunden. Nach dem Fund der zweiten Leiche haben wir sofort kontrolliert, wer in beiden Nächten Dienst hatte. Das trifft nur auf knapp zwanzig Fahrer zu, von denen jeder zumindest für die eine Nacht lückenlose Quittungsbelege vorweisen kann. Wie sollte ein Taxifahrer zwischen seinen Fahrten Zeit gehabt haben, sie umzubringen, zu waschen – wozu er ein privates Badezimmer bräuchte – und sie dann in diesen roten qipao zu stecken?« Liao schüttelte den Kopf, bevor er fortfuhr: »Ein Privatwagen ist da schon wahrscheinlicher. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen, seit es in Geschäfts- und Parteikreisen von Geldsäcken nur so wimmelt. Selbst wenn die Partei grünes Licht für eine Überprüfung gäbe, würden uns bei weitem die Mittel fehlen, um alle zu erfassen.«
    »Und was sagen Sie zu den jeweiligen Fundorten?«
    »Im ersten Fall«, begann Liao und nahm ein Foto zur Hand, auf dem im Hintergrund eine Kreuzung mit Ampel zu sehen war, »muß der Mörder das Auto verlassen haben, um die Leiche abzulegen. Ein beträchtliches Risiko. In dieser Gegend kommt der Verkehr praktisch nie zur Ruhe. Der Oberleitungsbus Nummer 26 stellt nur zwischen halb drei und vier Uhr morgens den Betrieb ein. Außerdem fahren ständig Autos vorbei, und aus dem Konservatorium gegenüber kommen ständig Studenten, die bis in die Nacht hinein arbeiten.«
    »Meinen Sie, daß der Fundort eine Verbindung zur Hochschule nahelegt, wie manche Journalisten behaupten?« fragte Yu.
    »Wir haben das überprüft. Jasmine hat nicht dort studiert. Sie mochte Musik, aber das ist schon alles. Auch ihre Familie hat nichts mit der Hochschule zu tun. Nachdem die zweite Leiche woanders lag, sehe ich keinen Grund, diese Schreiberlinge ernst zu nehmen.«
    »Li mag recht haben mit seiner Vermutung, daß der Verbrecher diese öffentlichen Orte gewählt hat, um eine Aussage zu machen«, meinte Yu. »Sie haben die Nachbarschaftskomitees in der Umgebung sicher schon unter die Lupe
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