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Blut Licht

Titel: Blut Licht
Autoren: Rebecca Abrantes
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eingetroffen. Absender: Eusebius. Er enthält Darians letzten Willen. Sein Testament. Besiegelt, beglaubigt und von langer Hand vorbereitet. Erneut bemerke ich, wie wenig ich die ganze Zeit über gewusst hatte und wie viel Mühe es Darian bereitet haben musste, den Gedanken an seinen eigenen Tod in sich zu tragen, ohne sich mir dabei offenbaren zu dürfen.
    Ich lasse meinen Blick wiederholt über die mit seiner eleganten, schwungvollen Handschrift beschriebenen Seiten gleiten. Mittlerweile sind sie leicht abgegriffen, denn beinahe jeden Tag nehme ich sie in die Hand. Auch diesmal lese ich seine nüchternen Anweisungen. Aufzählungen einer Hinterlassenschaft, deren Ausmaß ich lange Zeit nicht vollständig erfassen konnte. Darian wirft mich damit ins kalte Wasser. Er lässt mir keine andere Wahl, als das riesige Erbe unserer Tochter bis zu ihrer Volljährigkeit als testamentarischer Verwalter zu schützen und zu mehren. Anscheinend setzte er zu seinen Lebzeiten voraus, dass mir das nach seinem Tod gelingen wird. Ich selbst zweifele daran. Allerdings kann ich jederzeit auf Jason zurückgreifen. Viele Jahre hat er Darian begleitet und ist bestens über das Geschäftsgebaren informiert. Noch hält er mir alles Unwichtige vom Hals. Nur hin und wieder benötigt er meine Unterschrift, die ich ihm fraglos gewähre. Doch ich merke, wie Jason mich allmählich darauf vorbereitet, die Verantwortung zu übernehmen. Ich weiß nicht, ob ich das kann.
    Ich seufze. Es gibt Momente, da vermisse ich Darian dermaßen stark, dass mich jede Zelle meines Körpers schmerzvoll an seine Abwesenheit erinnert. Jetzt ist wieder einer dieser Momente. Ich muss an mich halten, um nicht in Tränen aufgelöst über dem Dokument zusammenzubrechen.
    Erneut vernehme ich fröhliches Kinderlachen und blicke aus dem Fenster. Ich kann sie nicht mehr sehen, jedoch hören. Mein Vater ahmt einen Bären nach und Liliannas Lachen lässt vermuten, dass sie ihren Großvater nicht ernst nimmt.
    Ach Darian. Wo immer du bist, ich hoffe, du kannst sie sehen. Was soll ich ihr sagen, wenn sie nach dir fragt? Was soll ich ihr von dir, von uns, erzählen? Wie viel kann und darf ich ihr berichten? Ich weiß nicht einmal, ob sie sich in ein paar Jahren noch an dich erinnern wird.
    Vielleicht sollte ich England den Rücken kehren und nach New York gehen. Zumindest für eine Weile. Mit diesem Gedanken spiele ich in letzter Zeit öfter. Hier sind zu viele Erinnerungen, die einfach nur schmerzen, mich innerlich aushöhlen und irgendwann wie eine gut funktionierende, gefühlslose Marionette zurücklassen werden. Dieses Haus ist voll von ihnen.
    Egal, welchen Raum ich betrete, überall sind seine Spuren. Manchmal scheint es, als hinge sein Geruch in der Luft, als würde ich seine Stimme hören, sogar seine Berührungen wie einen sanften Lufthauch auf meiner Haut spüren. Nachts ist es besonders schlimm, wenn ich mich in den Schlaf weine, mich unruhig herumwälze und erwache, sobald ich im Traum sein Gesicht vor mir sehe. Ich will nach ihm greifen, ihn festhalten - und fasse jedes Mal ins Leere. Nacht für Nacht, und Woche um Woche. Es zermürbt mich.
    Eine Träne trifft auf das Dokument und gibt ein trauriges, verlorenes Geräusch von sich. Ich atme tief durch, reiße mich zusammen und schiebe die Dokumente zurück in den Umschlag.
    Nicht mehr weinen, Faye. Blick nach vorn. Fang wieder an zu leben. Ich weiß, dass Darian mir das jetzt sagen würde, wenn er hier wäre. Er ist es nur nicht.
    Er ist tot und gleichzeitig nirgends. Ich konnte ihn noch nicht einmal richtig begraben. Die Urne war leer und das Grab eine Attrappe, inszeniert für all jene, die zu seiner Beerdigung gekommen waren. Und es waren sehr viele Menschen gewesen, die dieser Farce beigewohnt hatten. Darunter waren bedeutende Persönlichkeiten aus der Politik, dem Finanzwesen und der gehobenen Gesellschaft gewesen. Die wenigsten von ihnen kannte ich persönlich, andere wiederum lediglich aus den Gazetten oder dem Fernsehen. Letztendlich war die ganze Beerdigung ein morbides Schauspiel für die Öffentlichkeit, in dem nur meine Rolle als trauernde Witwe echt gewesen war.
    In Wahrheit gibt es keinen Ort, an den ich gehen und um ihn trauern kann. Kein Grab, keine Urne. Ich habe nichts, nur steinerne und finanzielle Hinterlassenschaften, die im Grunde unbedeutend sind.
    Erinnerungen. Jäh versiegen meine Tränen. Mein Blick wird klarer und meine Gedanken sortieren sich. Meine Erinnerungen sind alles, was mir wirklich
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