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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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verließ und das Ufer hinabschritt. Die Vögel kreisten über dem Po, mit ihren roten Augen das Wasser absuchend und dabei gurrende Laute ausstoßend. Sie zogen immer größere Runden und schwangen ihr Federkleid kraftvoll.
    Giacomo konnte sie nicht leiden.
    Danach war alles sehr schnell gegangen. Bei Mario Trematore fand das Wiedersehen statt. So viele Tränen, so viele Worte und dann so viel Schweigen. Aber schönes. Irgendwann war es genug und Giacomo legte sich in die Küche zum Schlummern. Am nächsten Morgen hatte Isabella ihn dann gewaschen, allen Barolo und alle Schokolade heraus- gebürstet. So sauber wie jetzt war er seit ... eigentlich seit seiner Geburt nicht mehr. Fühlte sich komisch an. Dagegen musste er bald was unternehmen!
    Der Wagen hielt, und Isabella sprang vom Fahrersitz, streckte ihre Arme in die Höhe und warf den Kopf in den Nacken.
    »Das habe ich vermisst, wisst ihr. Hingehen, wo ich will. Man weiß gar nicht, wie viel das wert ist. Einfach irgendwo hingehen. Wenn man Lust drauf hat.«
    Sie ließ ihn und die anderen beiden raus und ging auf eine alte Steinbrücke, die in sanften Bögen den Fluss überspannte. Einige vom Südwind geformte Bäume zierten die Hügelkuppen, und die Farbe der wenigen Häuser am Ufer spiegelte sich pittoresk im langsam fließenden Wasser. Wie sehr sich diese Brücke doch von der Ponte Umberto I. unterschied, mit all ihrem Eis und Schnee. Im Handstreich hatte der Frühling seinem sterbenden Bruder, dem Winter, die Welt entrissen. Über diese Brücke hier wollte man gerne gehen, an ihr hafteten keine aufwühlenden Erinnerungen, sie versprach den Wanderer in friedliche Ländereien zu führen, egal, in welche Richtung. Das Wasser rauschte leise glucksend, hübsche Strudel bildeten sich an den Pfeilern, so pflanzte der Fluss seine Art der Blumen. Die Wiese dahinter war so satt, als habe sie den ganzen Winter ihr Grün aufgespart, um nun alles davon auf einmal preiszugeben.
    Giacomo tapste hinunter, um an der Büschung etwas Wasser zu schlappen. Im ruhig fließenden Nass konnte er sein Spiegelbild sehen, ein wenig schlanker als in Wirklichkeit, etwas undeutlich gewellt. Und so erkannte er statt seiner selbst Daisy darin. Es schien, als wollte sie den Blick abwenden, doch konnte es nicht. Wie gestern an der Mole Antonelliana. Eigentlich hätte sie dort glücklich sein müssen, schließlich war ihr Lebenstraum gerade in Erfüllung gegangen. Sie waren tatsächlich im gläsernen Aufzug die riesige Kuppel hinaufgefahren, und es hatte Daisy den Atem geraubt. Als sie wie schwerelos emporglitten und alles unter ihnen, die Leinwände, die Liegen und die pompösenEingänge des in der Mole untergebrachten Filmmuseums immer kleiner wurden und das kleine Loch in der Decke der Kuppel immer größer, hatte Daisy eine prickelnde Mischung aus Angst und Faszination überkommen. Sie hatte ihre Schnauze an die Scheibe gepresst und gezittert. Giacomo war neben sie getreten, um sie vor dem Absturz zu schützen. Das hatte er zumindest gesagt. Oben auf dem Aussichtsbalkon hatten sie Turin bei bestem Wetter vor sich liegen gesehen, sein beruhigend geordnetes Muster aus Straßen und Häusern, es war ihnen unecht vorgekommen. Sie waren lange geblieben. Den Weg abwärts hatte Daisy dann nur nach oben durch das dünne Glas des Aufzugs geschaut, nicht nach unten, wo wieder alles größer wurde. Dass dieser Traum der Lagotto-Hündin tatsächlich wahr wurde, hatte Giacomo durch unablässiges Heulen und Ziehen an seiner Leine erreicht. Normalerweise waren Hunde in der Mole nicht erlaubt, doch jedem Turiner war Isabellas Schicksal nun bekannt. Die Stadt, welche sie eingesperrt hatte, behandelte sie jetzt wie einen Gast königlichen Blutes.
    Als sie wieder aus der Mole traten, kam unerwartet und vielleicht deshalb so schmerzvoll der Abschied. Daisy war einfach an der Kreuzung stehen geblieben, von der eine Gasse zu dem alten Versteck der Lagotto-Mischlinge führte.
    »Donald braucht mich«, hatte sie gesagt.
    »Und du?«
    »Ich brauche dich.«
    Doch nicht genug, hatte Giacomo gedacht. Und sie ziehen lassen. Einfach ziehen lassen. Es brannte immer noch in seinem Herzen. Dieses hatte schon viel mitgemacht. Trotzdem konnte es immer noch schmerzen. Eigentlich beruhigend, fand er. Es war so schön gewesen, von Daisy gemocht zu werden. Unglaublich schön. Doch sie war viel zu jung. Altersunterschiede waren Hunden ja eigentlich egal, doch Giacomo hatte sehr lange bei seinem Trifolao gelebt, der zeitseines
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