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Blow Out (German Edition)

Blow Out (German Edition)

Titel: Blow Out (German Edition)
Autoren: Uwe Laub
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kannte. Vielleicht lag genau darin die Chance, Antworten von ihm zu bekommen, zumindest aber die ein oder andere Information aus ihm herauszukitzeln. Einen Versuch war es wert. Emma ertrug den Gedanken nicht, dass sie ihren Mentor eventuell zu Unrecht verdächtigen könnte und diese Geschichte von nun an unausgesprochen zwischen ihnen stand. Emma brauchte Gewissheit. Sie kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass sie vorher nicht in der Lage sein würde, eine rationale Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen zu treffen.
    Sie loggte sich in Franklins Terminkalender ein. Außer einem Arztbesuch am Vormittag war für diesen Tag kein weiterer Termin eingetragen, also müsste er in seinem Büro anzutreffen sein. Sie war bereit.
    7
    Der Wind frischte auf.
    Obwohl das Luftkissenfahrzeug knapp einen Meter über der Wasseroberfläche dahinschwebte, schlugen bereits Wellenkämme von unten gegen den Bug. Salzige Gischt spritzte auf Nicks Haut. Am Horizont zog eine tiefdunkle Wolkenwand herauf und verdrängte den blauen Himmel. Bald schon würde sich diese Wand vor die Sonne schieben und das Meer in bedrohliches Grauschwarz tauchen. Schon als Kind hatte Nick die Sturmfluten gehasst, die stets große Ängste auslösten und nichts als Verwüstung zurückließen. Mit jedem Jahr, in dem das Meer seither angestiegen war, schienen die Fluten an Zerstörungskraft zuzunehmen. Und immer weniger hatten die beschädigten Häuser der betroffenen Landstriche dem entgegenzusetzen. Erst vor wenigen Monaten war ein Haus in unmittelbarer Nachbarschaft von Nicks Elternhaus in sich zusammengestürzt, nachdem es permanent von den Fluten unterspült worden war.
    In einiger Entfernung tauchten die Umrisse einer Insel auf. Dunkle Silhouetten mehrerer Häuser, einer Kirche und einiger Scheunen zeichneten sich gegen die aufgehende Sonne ab. Mehrere Gittermasten ragten hoch in den Himmel.
    »An diese Strommasten kann ich mich nicht erinnern«, sagte Nick.
    »Die haben wir aufgestellt«, klärte Keller ihn auf. »Die Stromversorgung des Dorfes ist schon vor Monaten zusammengebrochen.«
    Nick seufzte. »Ich weiß.«
    In seiner Kindheit hatte sein Heimatdorf noch gute dreißig Kilometer von der Nordseeküste entfernt gelegen. Im Laufe der Jahre hatte es sich jedoch in eine Insel inmitten der schmutzig braunen Nordsee verwandelt, die nur noch per Boot zu erreichen war. Auf einem ehemaligen Geestrücken errichtet, lag Dörpling einige Meter über den umliegenden Nachbargemeinden. Allein diesem Umstand verdankten es die wenigen noch verbliebenen Bewohner, dass ihr Dorf, im Gegensatz zu den meisten Nachbardörfern, überhaupt noch existierte. Morgen fiel jedoch auch für Dörpling endgültig der letzte Vorhang.
    Je näher sie dem Dorf kamen, desto deutlicher zeigte sich dessen hochgradiger Verfall. Zerstörte Dächer, eingestürzte Mauern, zerbrochene Fensterscheiben, abbröckelnder Putz an windschiefen Häusern. Die Sturmfluten hinterließen unübersehbare Spuren. Und doch lebten hier nach wie vor noch Menschen. Die meisten Einwohner, so auch Nicks Mutter, verbrachten schon ihr ganzes Leben hier, und es war nur allzu verständlich, dass sie sich bis zum letzten Tag weigerten, ihre Häuser zu verlassen. »Wir haben das Dorf in vier Quadranten eingeteilt«, sagte Keller unvermittelt. »Quadrant eins und zwei sind bereits geräumt. Wo wohnt Ihre Mutter?«
    »Brunnenweg 7.«
    »Quadrant vier. Steht im Mittel einen Meter unter Wasser. Wenn Sie wollen, bringe ich Sie sofort rüber. Auf Sie wartet sicher genügend Arbeit.«
    »Darauf können Sie wetten.«
    Nick durfte gar nicht daran denken. Aus lauter innerer Anspannung begann er, sein rechtes Ohrläppchen zu kneten. Die körperliche Arbeit schreckte ihn nicht. Ein armseliger Koffer mit den traurigen Überbleibseln von Lena Schäfers Leben war schnell gepackt. Andere Fragen bereiteten ihm weitaus mehr Kopfzerbrechen. In welchem Zustand würde er sein Elternhaus vorfinden? Viel wichtiger, in welchem Zustand würde seine Mutter sein?
    Sie erreichten die ersten Häuser, die bis an die Dachkanten unter Wasser standen und schon vor Monaten geräumt worden waren. Weiße Möwenkacke überzog das, was von den Dächern aus dem Wasser ragte. Passend dazu erscholl ganz in der Nähe das typische Geschrei einer Kolonie Lachmöwen, die in Dörplings Ruinen offenbar eine neue Heimat gefunden hatten.
    Mit gedrosseltem Tempo schwebten sie durch Straßen, durch die sich das Meer seinen Weg gebahnt hatte. Es hatte alles wie
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