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Blood Shot

Blood Shot

Titel: Blood Shot
Autoren: Sara Paretsky
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Chicago war mir immer wieder in den Sinn gekommen, aber auf beunruhigende Weise - ich hatte es eigentlich aus meinem Leben verbannen wollen. Nur dann, wenn mein schlechtes Gewissen Gabriellas Bild heraufbeschwor, rief ich Louisa an, aber das letzte Mal war vor über zwei Jahren gewesen. Damals hatte sie mit keinem Wort erwähnt, daß sie sich schlecht fühlte.
    »Ach, ich konnte einfach nicht mehr. Muß jetzt ungefähr ein Jahr her sein. Sie haben mich für erwerbsunfähig erklärt. Aber erst seit dem letzten halben Jahr geht es mir wirklich schlecht.« Sie zog die Decke von ihren Beinen. Sie sahen aus wie Zweige, dünne Knochen, auf denen Vögel hätten sitzen können, grüngrau gesprenkelt wie ihr Gesicht. Aschgraue Flecken auf Füßen und Knöcheln zeigten die Stellen, die nicht mehr durchblutet wurden. »Es sind die Nieren«, sagte sie. »Die verfluchten Dinger lassen mich nicht mehr richtig pissen. Caroline fährt mich jede Woche zwei-, dreimal ins Krankenhaus, und dort hängen sie mich an diese blöde Maschine, die mein Blut säubern soll, aber, ehrlich gesagt, mit wär's fast lieber, ich könnte in Frieden sterben.« Sie hob eine dürre Hand. »Erzähl Caroline nichts davon. Sie tut alles für mich. Und die Firma bezahlt, also brauch' ich nicht das Gefühl haben, daß sie ihr Erspartes für mich opfert. Ich will nicht, daß sie mich für undankbar hält.«
    »Nein, nein, ich erzähl' ihr nichts«, beruhigte ich sie und deckte ihre Beine wieder zu.
    Sie kam auf die alten Zeiten zu sprechen, als ihre Beine noch schlank und muskulös gewesen waren und sie um Mitternacht, nach der Arbeit, noch zum Tanzen ging. Auf Steve Ferraro, der sie heiraten wollte, auf Joey Pankowski, der sie nicht heiraten wollte, und darauf, daß sie alles genauso wieder machen würde, wenn man sie vor die Wahl stellte, denn sie hatte ja Caroline. Aber Caroline wünschte sie ein anderes, besseres Leben, sie sollte sich nicht in South Chicago zu Tode arbeiten.
    Schließlich nahm ich ihre knochige Hand und drückte sie sanft. »Ich muß gehen, Louisa, es sind zwanzig Meilen bis zu meiner Wohnung. Aber ich komm' wieder.«
    »Es war wirklich schön, dich zu sehen.« Sie legte den Kopf auf die Seite und lächelte hinterhältig. »Du hast wahrscheinlich keine Zigaretten dabei, oder?«
    Ich mußte lachen. »Das Zeug rühr' ich nicht mal mit der Feuerzange an, Louisa, da mußt du dich schon mit Caroline einigen.«
    Ich schüttelte ihre Kissen auf und schaltete den Fernseher ein, dann ging ich, um Caroline zu suchen. Louisa hatte nie etwas für Küsse und Umarmungen übrig gehabt, aber ein paar Sekunden lang drückte sie fest meine Hand.

3
    Schwesternpflichten
    Caroline saß am Eßzimmertisch, aß Brathuhn und machte sich auf einem farbigen Schaubild Notizen. Chaotische Papierhaufen - Berichte, Zeitschriften, Flugblätter - bedeckten den ganzen Tisch. Neben ihrem linken Ellbogen schwankte ein großer Stapel über dem Abgrund. Als sie mich eintreten hörte, legte sie den Bleistift aus der Hand. »Während du bei Ma warst, hab' ich was zu essen geholt. Möchtest du? Was meinst du - ziemlicher Schock, was?«
    Ich schüttelte bestürzt den Kopf. »Sie sieht schrecklich aus. Wie erträgst du das?«
    Sie verzog das Gesicht. »Es war alles nicht so schlimm, solange ihre Beine sie noch trugen. Hat sie sie dir gezeigt? Dachte ich mir. Was sie wirklich fertigmacht, ist, daß sie nicht mehr gehen kann. Für mich war am härtesten, daß sie schon so lange krank war, ohne daß ich etwas gemerkt habe. Du kennst sie - sie klagt nie, und schon gar nicht über so was Intimes wie ihre Nieren.« Sie fuhr mit einer fettigen Hand durch ihre widerspenstigen Locken. »Vor drei Jahren fiel mir plötzlich auf, wie dünn sie geworden war, und da wußte ich, daß irgendwas nicht stimmte. Und dann kam allmählich raus, daß sie sich schon ziemlich lange komisch fühlte - schwindlig und benommen, taube Beine -, aber sie wollte nicht, daß jemand davon erfuhr, um ihren Arbeitsplatz nicht zu gefährden.«
    Die Geschichte hörte sich auf deprimierende Weise bekannt an. Die Leute im schicken Norden gingen zum Arzt, wenn sie sich den kleinen Zeh verstauchten, aber im Süden Chicagos wurde erwartet, daß man hart im Nehmen war. Unter Schwindelgefühlen und Gewichtsverlust litten viele Leute, das war etwas, worüber sich erwachsene Menschen ausschwiegen.
    »Hat sie gute Ärzte?«
    Caroline legte das abgenagte Hühnerbein zur Seite und leckte ihre Finger ab. »Sie sind in Ordnung. Wir
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