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Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung

Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung

Titel: Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
Autoren: Julie Kenner
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ich dich berühre und dir in die Augen schaue. Und du misstraust einem Medium?«
    »Na ja, weißt du«, sagte sie und zog lässig eine Schulter hoch. »Das klingt so nach Gespenstergeschichten.«
    Ich schüttelte den Kopf. Nicht zu fassen.
    »Abgesehen davon«, fuhr sie fort, »kennst du überhaupt ein Medium?«
    »Erinnerst du dich noch an deine Tätowierung?« Als sie das erste Mal für längere Zeit bei mir geblieben war, hatte ich sie mit ihrem Namen - Rose - kennzeichnen lassen. Damals hatte ein abscheulicher, furchtbarer, widerwärtiger Dämon sein Lager in ihrem Körper aufgeschlagen. Ich hatte sie zu einem Tätowierer mitgenommen, den ich von früher kannte, und während John mit Rose beschäftigt war, hielt ich einen kleinen Schwatz mit dem Medium, mit dem er sich das Studio teilte. Madame Parrish. Eine Frau, die sehr viel mehr auf dem Kasten hatte, als man ihr ansah.
    Völlig verwirrt blinzelte mich Rose an.
    »Vertrau mir einfach«, sagte ich und nickte zur Straße hin. »Na los, komm.«
    »Zu Fuß?« Ihre Stimme wurde vor Ungläubigkeit ganz schrill. »Bis zu den Flats?«
    Ohne mich noch mal umzudrehen, überprüfte ich die Autos, die auf der Straße geparkt waren. Am liebsten wäre ich ja mit meinem Motorrad gefahren,; meine uralte Triumph Tiger stand aber noch immer vor meiner Wohnung.
    »Oh«, sagte Rose, als sie endlich kapiert hatte. Sie zeigte auf ein elegantes Cabrio, das auf der gegenüberliegenden Seite vor einer Reihe teurer Eigentumswohnungen stand. »Wie wär’s mit dem da drüben?«
    Verlockend, aber ich entschied mich lieber für einen alten Buick. Nicht so auffällig. Leichter kurzzuschließen.
    In meinem früheren Leben (als ich nicht nur Lily Carlyle war, sondern auch in Lily Carlyles Körper steckte) hatte ich mir einige nicht ganz hasenreine Dinge geleistet. Diverse Autodiebstähle zum Beispiel. Und obwohl ich die Wagen immer zurückgestellt hatte, fühlte ich mich wegen meiner Ausflüge ins Strafbare stets ein wenig schuldig. Jetzt war ich jedoch dankbar für meine vielfältigen Erfahrungen.
    Da ich keine Uhr trug, wusste ich auch nicht, wie spät es war. Auf der Straße war kein Mensch zu sehen. Rose fand einen großen Stein. Schweren Herzens verzichtete ich darauf, meine Schwester aufzufordern, sie solle wegschauen, während ich die Scheibe einschlug und den Wagen kurzschloss. Dies war nun auch ihr Leben, auf Gedeih und Verderb.
    Bis jetzt senkte sich die Waagschale leider stark auf die Verderb-Seite.
    Die Uhr im Armaturenbrett des gestohlenen Fahrzeugs zeigte auf kurz nach zwei Uhr morgens. Aber deshalb ließ ich mir keine grauen Haare wachsen. Madame Parrish hatte ich schon einige Male in den frühen Morgenstunden aufgesucht. Und das war ja eigentlich auch kein Wunder. Ein Medium machte seine besten Geschäfte wahrscheinlich dann, wenn die Bars schlossen und jeder, der kein Glück gehabt hatte, wissen wollte, wann sich das Schicksal drehen würde.
    Die Fahrt verlief ereignislos, was mich deshalb besonders freute, weil uns ja allerhand dazwischenkommen konnte: wütende Dämonen, zornige Engel, Polizisten, die mich wegen Autodiebstahl drankriegen wollten.
    Ich ließ den Buick in einer Seitenstraße stehen, dann marschierten wir beide die sechs Blocks bis zum Tattoostudio.
    »He«, sagte Rose, als wir an einem rund um die Uhr geöffneten Mini-Markt vorbeikamen. »Hast du das gesehen?«
    Sie war vor einem ramponierten blauen Zeitungsautomaten stehen geblieben, und ich ging die paar Schritte wieder zurück. ERDBEBEN schmetterte uns die Schlagzeile entgegen. Bei einem Erdbeben der Stärke 7,6 in Shanghai waren Hunderte von Toten und Tausende von Verletzten zu beklagen.
    »Wahnsinn! 7,6 ist gewaltig.«
    »Ich weiß.« Als Rose sich zu mir umdrehte, war sie kreidebleich. »Aber hast du das Datum gesehen?«
    »Von dem Erdbeben?«
    »Von der Zeitung.«
    Ich blickte auf den Titelkopf und trat automatisch einen Schritt zurück. »Aber das ist doch unmöglich.«
    »Ja, das weiß ich auch. Entweder erlaubt sich jemand hier einen ganz üblen Scherz oder wir haben einen riesigen Zeitsprung gemacht, als wir das Portal betreten haben.«
    Sie argumentierte ruhig und vernünftig, als würde sie mit ihrem Lehrer einen mathematischen Beweis diskutieren. Offenbar beschäftigte sie der Verlust vieler Tage weniger als der Besuch bei einem Medium.
    Mir bereitete das jedoch durchaus Sorgen. Sehr große sogar. Nicht nur, weil es einfach völlig verrückt ist, auf solche Weise Zeit zu verlieren, sondern auch,
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