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Blinder Instinkt - Psychothriller

Titel: Blinder Instinkt - Psychothriller
Autoren: Andreas Winkelmann
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stopfte er alles in seine Hose zurück und zog sich an. Allein die Vorstellung, das Tier könnte ihn beobachtet haben, berührte ihn peinlich und ließ das Blut heiß in seinen Kopf
schießen. Verstohlen sah er sich um, bevor er sich wieder auf dem Baumstamm niederließ. Er schlug die Beine übereinander, steckte die Hände in die Taschen seiner dunklen Jacke, machte den Rücken krumm, sackte in sich zusammen und tat, als sei nichts gewesen. Überall waren Augen, überall wurde er gesehen. Er sehnte sich zurück in seine Welt, in der er ganz allein bestimmte, wer sehen durfte und wer nicht. Dort konnte er unsichtbar sein, wenn er es wollte.
    Wie satt er es doch hatte, angeglotzt zu werden!
    Er fror. Die Nacht war kühl, Bewegungslosigkeit und Müdigkeit taten das Ihrige dazu. Die Warterei ließ seine Motivation schwinden. Zweifel machte sich breit. Hatte er wirklich an alles gedacht? War es so einfach und sicher, wie er es sich vorstellte? Vielleicht sollte er es besser noch einmal verschieben, sich mit dem abfinden, was er hatte.
    Als er wegen der Kälte zu zittern begann, war die Wartezeit vorbei. Trotzdem gab er noch mal zehn Minuten drauf, allein schon, um seine Geduld zu trainieren. Dame zu Dame, Bube zu Bube, König zu König, zehn Minuten lang, und sie fügten sich, glitten leise und geschmeidig aufeinander, die Kanten in exakter Linie, nahezu perfekt!
    Schließlich erhob er sich von dem Baumstamm, machte ein paar Dehnübungen, atmete tief ein und aus und schritt dann leise auf den Waldrand zu. Wo Büsche und Bäume zurückwichen und er seine Deckung aufgeben musste, blieb er stehen und holte die Drahtschere aus der Jackentasche. Mit ruhigen Bewegungen machte er sich ans Werk. Ein Draht nach dem anderen.
    Knack, knack, knack … Die Zange war neu und scharf und schnitt wie durch Butter.

2
    Die letzten fünf Minuten vor einem Kampf mochte er besonders. Dies war allein seine Zeit. Sein Trainer Konrad Leder, von ihm und einer Handvoll guter Freunde kurz Kolle genannt, verließ den Raum und schloss die Tür. Damit war er allein, und so musste es sein, denn nur dann konnte er seine Gedanken fokussieren, sich auf diese eine bestimmte Sache konzentrieren.
    Diese fünf Minuten verbrachte er in einer Welt, in der es nur ihn und seinen Gegner gab. Manchmal jedoch tauchte auch Sina auf. Sina hatte Zugang zu allen Welten, dagegen konnte Max sich nicht wehren, selbst wenn er es gewollt hätte, und diese Wehrlosigkeit rief oft ein bedrückendes Gefühl der Machtlosigkeit in ihm hervor. Es gab kein Entrinnen, und diese Last wog mitunter schwer genug, um seine Seele am Atmen zu hindern.
    Auch heute spürte er ihre kleine Hand auf seiner Schulter, die dünnen Finger leicht in seine Nackenmuskulatur gekrallt, damit sie nicht abrutschten. Früher, als sie noch wirklich dort gelegen hatten, war es immer ein angenehmes Gefühl von Wärme und Verbundenheit gewesen. Er war der Starke, der Beschützer, der Wegweiser. Und wenn sie dann noch diesen einen besonderen Satz gesagt hatte, war er sich stets unbesiegbar vorgekommen.
    »Der sicherste Platz auf der Welt ist hinter dir, Max!«
    Allein die Erinnerung daran genügte, sich heute wieder so zu fühlen. Unbesiegbar!
    Somit war der größte Fehler seines Lebens gleichzeitig auch die Quelle seines Erfolges.

    Mit locker hängenden Armen, die Füße schulterbreit auseinandergestellt, blieb Max in der Mitte des Raumes stehen. Er ließ seinen Blick umherwandern. In dieser Kabine sah es aus wie in den meisten anderen Kabinen auch: weiße Farbe auf unverputztem Mauerwerk, Neonröhren in Plastikkästen, deren Licht so hart war, dass es greifbar schien. Eine Wandseite zugestellt mit Metallspinden, an der hinteren Stirnseite eine Massagepritsche, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Schweiß hatte das Kunstleder porös werden lassen und ausgeblichen, an mehreren Stellen quoll die Schaumstofffüllung hervor. An der anderen Wandseite hing ein hoher, sehr breiter Spiegel, zu dem Max jetzt frontal Stellung bezog. Er stand seinem Spiegelbild gegenüber, und je länger er die mittelgroße, muskulöse Gestalt in blauen Shorts mit gelben Streifen dort betrachtete, desto weniger nahm er sie wahr. Er begann, den mit Lumpen gefüllten Boxsack zu bearbeiten. Zuerst ein paar leichte Schläge mit der Linken, zwischendurch die Rechte, ein wenig härter, aber nicht viel, und jeder Schlag ließ die Visualisierung vor seinen Augen realer werden. Beinahe war es wie Wahrsagen, mit dem Unterschied, dass er die
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