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Blinder Einsatz

Blinder Einsatz

Titel: Blinder Einsatz
Autoren: Florian Lafani , Gautier Renault
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Sollte er nun den Notarzt rufen oder nicht? Wie sollte er das Geschehene erklären? Man würde ihn sicher vor Gericht stellen. Und dann die Sache mit den Überweisungen. Nein, dieses Risiko konnte er auf keinen Fall eingehen. Vielleicht lebte sie ja noch. Die Ärzte würden sie retten, und sie würde ihm verzeihen. Lars war einfach nicht in der Lage, die Nummer zu wählen. Welche Entscheidung war die richtige? Wie er es auch drehte und wendete, es sah nicht gut für ihn aus. Wie konnte er nach einer solchen Tat, selbst wenn er sie gar nicht absichtlich begangen hatte, auf Beistand hoffen? Er suchte nach einer glaubwürdigen Geschichte, die ihn nicht zum Schuldigen stempelte.
    Da hörte er einen Wagen in der Einfahrt. Sein Vater! Wie sollte er ihm das Ganze beibringen? Würde er denken, dass Lars seine eigene Mutter umgebracht hatte? Warum? Wegen ein paar Kröten? Warum?
    Es musste eine Entscheidung treffen. Nichts würde mehr wie früher sein. Sein Vater schloss gerade die Tür auf. Lars sah sich panikartig um. Was tun? Er drückte sich in die Türöffnung zum Wohnzimmer. Als sein Vater eintrat, schrie er entsetzt auf: »Saskia! Was ist passiert? Guter Gott! Antworte! Lars! Lars, bist du da?«
    Er drehte den Körper seiner Frau auf die Seite und sah die große blutige Wunde auf ihrer Stirn.
    Lars beobachtete ihn reglos. Die Entzugserscheinungen waren einem anderen Zustand gewichen, in dem er auf einmal klar denken konnte – sogar glasklar. Er sah das Räderwerk vor sich, das ihn erfassen würde, wenn er erzählte, was passiert war. Er war schon zu tief in die ganze Sache verwickelt! Die Entscheidung, die er in wenigen Sekunden treffen würde, würde den Rest seines Lebens bestimmen.
    Sein Vater erhob sich und griff zum Handy, um den Notarzt zu rufen. Doch dazu kam es nicht mehr. Lars griff nach dem Schürhaken, bekam ihn aber nicht richtig zu fassen, sodass er gegen den Kaminsims schlug. Niels Loy fuhr bei diesem Geräusch herum und sah, wie sein Sohn sich auf ihn stürzte und ihm mit dem Eisen ins Gesicht schlug. Zweimal. Er brach zusammen. Doch er verlor nicht das Bewusstsein, sondern starrte seinen Sohn entsetzt an. Kein Laut drang aus seinem Mund. Lars hieb ein letztes Mal auf ihn ein, um diesen Blick nicht länger ertragen zu müssen. Beängstigende Stille breitete sich aus. Lars wollte nur noch weit weg sein. Sofort. Und seinen Tränen freien Lauf lassen. Doch eine innere Stimme mahnte ihn, dass er etwas unternehmen müsse, wenn er nicht wegen eines Doppelmords im Gefängnis landen wollte. Er schaffte es, sich zusammenzureißen. Rasch versuchte er, alle Spuren zu beseitigen.
    Er wusch sein Glas und wischte mit dem Hemdsärmel den Schürhaken ab.
    Er verwüstete das Zimmer – es sollte wie ein misslungener Einbruch aussehen. Niemand wusste, dass er an diesem Abend zu seinen Eltern gefahren war. Er ging in sein Zimmer, dann ins Badezimmer.
    Seine Mutter hatte ihn angerufen.
    Er kramte in ihrer Handtasche, bis er ihr Handy gefunden hatte, und steckte es ein.
    Sonst nahm er nichts mit. Er schaute kurz aus dem Fenster. Die Straße lag ruhig da, wie immer. Lars ging und ließ die Tür offen stehen, rannte ums Haus und verschwand durch den Garten.
    Das Grundstück grenzte an einen Acker. Dahinter verlief ein Fußweg, der zum Bahnhof führte. Er musste so schnell wie möglich nach Hause. Und sich um ein Alibi kümmern.
    THE DEAL

    Ich kam am 3. April 1952 in Illinois zur Welt. Meine Eltern hatten 1944 von den Bemühungen der amerikanischen Politik um deutsche Intellektuelle profitiert und waren in die USA emigriert.
    Mein Vater war in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts ein renommierter Professor für Politische Philosophie in Heidelberg. Ein brillanter und kultivierter Mann, der sechs Sprachen fließend sprach, darunter Englisch, Russisch und Französisch. Mit zweiunddreißig war er eine der größten Hoffnungen der deutschen Philosophie und häufiger Gast auf Konferenzen in ganz Europa.
    Trotz seiner progressiven Tendenzen ließen ihm die Nazis aufgrund seines Rufs eine gewisse Freiheit, wenngleich sie ihn argwöhnisch beobachteten. Mein Vater erzählte oft, dass überall, wo er sprach, Mitglieder der Gestapo unter den Zuhörern saßen. Er lernte seine Worte sorgfältig zu wählen und seine Vorstellungen über Toleranz und seine Kritik am Zeitgeschehen unter einem Deckmantel von Neutralität zu verbergen. So fanden seine ungebetenen Zuhörer niemals etwas, womit sie ihn hätten festnageln können.
    Mit
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