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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau
Autoren: Haruki Murakami
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eine Sucht. Wenn ich einen Namen sehe, muss ich ihn haben. Natürlich nicht jeden. Aber manche Namen ziehen mich unwiderstehlich an. Solche muss ich einfach in die Hand bekommen. Also dringe ich in Häuser ein und stehle sie. Ich weiß, dass man das nicht darf, aber ich kann nicht dagegen an.«
    »Und Sie waren es auch, der das Namensschild von Yuko Matsunaka aus dem Wohnheim stehlen wollte?«
    »Ganz recht. Ich war bis über beide Ohren in Fräulein Matsunaka verliebt. Nie vorher, nie nachher war ich jemandem derart verfallen. Aber als Affe durfte ich mir natürlich keine Hoffnungen machen. Also wollte ich mich wenigstens ihres Namens bemächtigen. Allein ihren Namen zu besitzen hätte mir schon genügt. Was mehr kann sich ein Affe wünschen? Aber sie hat ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt, bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte.«
    »Hatten Sie womöglich etwas mit Yukos Selbstmord zu tun?«
    »Nein«, sagte der Affe und schüttelte heftig den Kopf. »Keineswegs. Ihr Selbstmord hatte nicht das Geringste mit mir zu tun. Fräulein Matsunakas Herz war in der Gewalt einer finsteren Macht, der sie nicht entkommen konnte. Wahrscheinlich hätte niemand sie retten können.«
    »Aber wie haben Sie nach so langer Zeit erfahren, dass sich Yuko Matsunakas Namensschild in meinem Besitz befand?«
    »Ich habe eine Ewigkeit dazu gebraucht. Nach Fräulein Matsunakas Tod versuchte ich natürlich sofort, an das Namensschild heranzukommen, bevor jemand es wegnahm, aber es war bereits verschwunden, und niemand wusste wohin. Ich suchte überall, bis zur Erschöpfung, aber es war nirgends zu finden. Damals kam ich gar nicht auf die Idee, dass sie es Ihnen anvertraut haben könnte. Sie waren ja nicht befreundet.«
    »Stimmt«, sagte Mizuki.
    »Erst vor kurzem hatte ich blitzartig die Eingebung, dass Fräulein Matsunaka das Namensschild vielleicht Ihnen übergeben hatte. Das war im Frühling letzten Jahres. Es dauerte lange, bis ich herausgefunden hatte, dass Sie geheiratet haben, jetzt Mizuki Ando heißen und in Shinagawa wohnen. Sie werden verstehen, dass es für einen Affen ziemlich kompliziert ist, solche Nachforschungen anzustellen. Jedenfalls bin ich am Ende in Ihre Wohnung eingestiegen, um es stehlen.«
    »Aber warum haben Sie dann auch mein Namensschild mitgenommen und nicht nur das von Yuko Matsunaka? Damit haben Sie mir viel Kummer bereitet. Ich wusste meinen Namen nicht mehr.«
    »Das tut mir wirklich sehr leid.« Der Affe ließ beschämt den Kopf hängen. »Wenn ich einen anziehenden Namen vor mir habe, muss ich ihn einfach nehmen. Es ist mir sehr peinlich, aber Ihr Namensschild rührte mein kleines Herz sehr stark. Wie gesagt, es ist eine Krankheit. Ich kann diesen Drang einfach nicht beherrschen. Gerade denke ich noch, das darfst du nicht, da strecke ich schon die Hand danach aus. Ich bitte Sie von ganzem Herzen um Verzeihung.«
    »Dieser Affe hält sich in der unterirdischen Kanalisation von Shinagawa versteckt«, erklärte Tetsuko Sakaki. »Deshalb habe ich meinen Mann gebeten, ihn von ein paar jüngeren Kollegen einfangen zu lassen. Es traf sich gut, dass er Abteilungsleiter in der Stadtteilverwaltung ist und die Kanalisation in seinen Zuständigkeitsbereich fällt.«
    »Unser junger Sakurada hier hat das meiste zur Ergreifung des Affen beigetragen«, sagte Abteilungsleiter Sakaki.
    »Die Behörde muss sich darum kümmern, wenn zwielichtige Elemente wie der da in den Kanälen unseres Bezirks herumlungern«, erklärte Sakurada stolz. »Der Kerl hatte sich ein unterirdisches Quartier in der Gegend von Takanawa eingerichtet und von dort aus anscheinend das Abwassersystem der ganzen Stadt durchstreift.«
    »In einer Großstadt gibt es nicht viele Orte, an denen wir leben können«, sagte er Affe. »Es gibt so wenig Bäume, dass man in der Mittagshitze keinen Schatten findet. Oben auf der Erde rotten sich die Leute zusammen und versuchen uns zu fangen. Die Kinder bewerfen uns mit Pachinko-Kugeln oder ballern mit Spielzeuggewehren auf uns. Riesenhunde machen Jagd auf uns. Kaum macht man mal ein Schläfchen auf einem Baum, kommt schon ein Kamerateam und richtet Scheinwerfer auf einen. Als Affe findet man einfach keine Ruhe. Also müssen wir uns unter der Erde verstecken. Bitte, verzeihen Sie mir.«
    »Aber woher wussten Sie bloß, dass der Affe sich in der Kanalisation versteckt hält?«, fragte Mizuki Frau Sasaki.
    »In den vergangenen zwei Monaten, in denen wir miteinander geredet haben, ist mir einiges klar
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