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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin
Autoren: Anne Holt
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kannte ihr Bedürfnis, sich wenn möglich an die Regeln zu halten, und das respektierte er. Es kam nicht oft vor, daß die Juristen der Polizei bei den Verhören anwesend waren, aber gegen die Vorschriften war es nicht. Ab und zu hatte er es auch früher schon gemacht. Vor allem, um zu lernen, wie Verhöre überhaupt abliefen, manchmal aber auch, weil ihn ein Fall besonders interessierte. Normalerweise hatten die Kollegen nichts dagegen. Im Gegenteil, wenn er sich ruhig genug verhielt und sich nicht ins Verhör einmischte, schien es den meisten sogar zu gefallen.
    Wie auf ein Signal hin wandten sie sich beide dem Häftling zu. Hanne Wilhelmsen stützte den rechten Ellbogen auf den Tisch und ließ glänzend lackierte, lange Nägel auf den Tasten einer uralten elektrischen Schreibmaschine spielen. Es war eine IBM-Kugelkopf, die vor fünfzehn Jahren als avanciert gegolten hatte. Jetzt fehlte ihr das E. Es war so abgenutzt, daß das Farbband statt seiner einen schwarzen Fleck produzierte. Das war nicht weiter schlimm, alle begriffen, daß der Fleck ein E vorstellen sollte.
    »Ich glaube, das wird ein langer Tag, wenn du die ganze Zeit schweigen willst.«
    Ihre Stimme war milde, fast nachsichtig.
    »Ich werde dafür bezahlt. Adjutant Sand wird bezahlt. Du dagegen bleibst einfach nur sitzen. Früher oder später lassen wir dich vielleicht laufen. Vielleicht möchtest du dazu beitragen, daß das früher passiert?«
    Zum erstenmal wirkte der junge Mann verwirrt.
    »Ich heiße Han van der Kerch«, sagte er nach zwei Minuten des Schweigens. »Ich bin Niederländer, aber ich habe eine Aufenthaltsgenehmigung. Ich studiere in Oslo.«
    Nun hatte Håkon Sand eine Erklärung für die perfekte Sprache, die nicht ganz norwegisch war. Er dachte an den Helden seiner Jugend, Art Schenk, und ihm fiel ein, daß er schon als Dreizehnjähriger kapiert hatte, daß dieser Mann für einen Ausländer phantastisch gut norwegisch gesprochen hatte. Und er dachte an die Leseerlebnisse seiner Jugend, an Holländer-Jonas von Gabriel Scott, ein Buch, das er geliebt hatte; bei den Fußballmeisterschaften hatte er immer zu der Mannschaft in Orange gehalten.
    »Mehr sage ich nicht.«
    Stille. Håkon Sand wartete auf Wilhelmsens nächsten Zug. Wie immer der auch aussehen mochte.
    »Na, von mir aus. Das ist deine Entscheidung und dein Recht. Aber dann bleiben wir doch ziemlich lange hier sitzen.«
    Sie spannte einen Bogen in die Schreibmaschine, als sei sie jetzt schon sicher, daß es doch etwas zu schreiben geben werde.
    »Na gut, dann erzähle ich dir unsere Theorie.«
    Die Stuhlbeine kratzten über das Linoleum, als sie ihren Stuhl zurückschob. Sie bot dem Niederländer eine Zigarette an und steckte sich selbst eine an. Der Junge wirkte dankbar. Håkon Sand war weniger zufrieden, er wippte mit dem Stuhl und öffnete die Tür, um für Durchzug zu sorgen. Das Fenster stand schon auf Kipp.
    »Am Freitagabend haben wir eine Leiche gefunden«, sagte Hanne Wilhelmsen leise. »Sie war ziemlich übel zugerichtet. Es war ein Mann, und offenbar hatte er nicht sterben wollen. Zumindest nicht auf so schreckliche Weise. Das Blut muß ganz schön gespritzt haben. Du warst auch ganz schön bespritzt, als wir dich gefunden haben. Wir hier bei der Polizei sind vielleicht langsam. Aber trotzdem sind wir imstande, zwei und zwei zusammenzuzählen. In der Regel kommt vier dabei heraus, und ich glaube, das ist auch jetzt der Fall.«
    Sie streckte die Hand nach einem Aschenbecher aus, der hinter ihr im Bücherregal stand. Es war ein geschmackloses Reiseandenken aus Griechenland, braunes Flaschenglas, geziert von einem Faun mit bösem Lächeln und einem riesigen strotzenden Phallus. Nicht ganz Hanne Wilhelmsens Stil, dachte Sand.
    »Ich sage es lieber gleich.« Ihre Stimme klang jetzt schärfer. »Morgen bekommen wir eine vorläufige Analyse des Blutes an deinen Kleidern. Und das reicht – wenn das Blut zu unserem Freund ohne Gesicht paßt – locker für längere Untersuchungshaft. Dann holen wir dich, ohne das anzukündigen, zum Verhör. Immer wieder. Vielleicht vergeht eine Woche, ohne daß du von uns hörst, und dann sind wir wieder da; vielleicht, wenn du gerade eingeschlafen bist. Wir sitzen einige Stunden lang beim Verhör, du sagst nichts, wir bringen dich zurück und holen dich wieder. Das ist ziemlich anstrengend. Für uns auch, natürlich, aber wir können einander ablösen. Für dich ist es schlimmer.«
    Håkon Sand zweifelte langsam daran, daß Hanne Wilhelmsen
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