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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin
Autoren: Anne Holt
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Mann. Mit seinen sauberen blauen Schulterklappen hatte er eine Heidenangst vor solchen Mengen von möglicherweise HIV-infiziertem Blut. Er trug Plastikhandschuhe, als er die offene Lederjacke des Festgenommenen zurückschlug. Erst jetzt konnte er feststellen, daß das T-Shirt einst weiß gewesen war. Auch die Jeans waren blutgetränkt, und der Bursche wirkte auch sonst nicht weiter gepflegt.
    »Personalien«, forderte der Wachhabende und linste müde über die Schranke.
    Der Festgenommene gab keine Antwort. Er starrte sehnsuchtsvoll auf ein Päckchen Tabak, das der Anwärter zusammen mit einem Goldring und einem von Nylonschnur zusammengehaltenen Schlüsselbund in eine hellbraune Papiertüte steckte. In seinem Gesicht war nichts anderes zu lesen als der Wunsch nach einer Zigarette, und auch dieser Wunsch verflüchtigte sich, als er seinen Blick von der Papiertüte zum Wachhabenden wandern ließ. Er stand, fast einen Meter von dem Polizisten entfernt, hinter einer soliden Metallbarriere, die ihm bis zu den Hüften reichte. Die hufeisenförmige Barriere war, einen guten halben Meter von der hohen Holzschranke entfernt, mit beiden Enden im Betonboden verankert. Die Holzschranke wiederum war ziemlich breit, und die Nase und der dünne graue Schopf des Polizisten lugten hinüber.
    »Personalien! Wie heißt du, Mann? Wann geboren?«
    Der Fremde lächelte, durchaus nicht höhnisch. Sein Lächeln zeigte eher mildes Mitgefühl für den erschöpften Polizisten, sein Ausdruck schien sagen zu wollen: Nimm es nicht persönlich. Er würde nichts sagen, weshalb brachten sie ihn also nicht lieber gleich in eine Zelle? Sein Lächeln war fast freundlich, und er schwieg. Der Wachhabende mißverstand das. Natürlich.
    »Bringt den Burschen in eine Zelle! Die vier steht leer. Der wird hier verdammt noch mal nicht länger rumstehen und mich provozieren.«
    Der Mann protestierte nicht, sondern ließ sich willig in Zelle vier führen. Vor jeder Zellentür standen Schuhe, abgelatschte Schuhe in allen Größen. Und die Türschilder verrieten, wer dort wohnte. Vielleicht ging er davon aus, daß diese Regel auch für ihn galt. Jedenfalls streifte er seine Turnschuhe ab und setzte sie ohne weitere Aufforderung ordentlich vor die Zellentür.
    Die Zelle maß etwa drei mal zwei Meter und war ausgesprochen unerfreulich. Wände und Boden waren hellgelb, und das Fehlen von Graffiti fiel auf. Der einzige kleine Vorzug, den er an diesem Ort, der zweifelsfrei kein Hotel war, sofort entdecken konnte, war, daß der Wirt offenbar nicht an Strom sparte. Das Licht war viel zu grell, und in diesem Zimmerchen war es mindestens fünfundzwanzig Grad warm.
    Gleich neben der Tür befand sich ein Abtritt. Er verdiente die Bezeichnung Klo oder Toilette nicht. Es war eine Steinkonstruktion mit einem Loch in der Mitte. Als er sie erblickte, verkrampfte sein Bauch sich zu einer nachdrücklichen Verstopfung.
    Obwohl es an Kritzeleien früherer Gäste fehlte, war dem Zimmer anzusehen, daß es viel genutzt wurde. Auch wenn er selbst alles andere als frisch geduscht war, erbebte sein Zwerchfell, als er den unangenehmen Geruch bemerkte. Die Mischung von Pisse und Exkrementen, von Schweiß und Angst, von Entsetzen und Wut hatte sich in den Wänden untilgbar festgesetzt. Denn abgesehen von der Einrichtung, die Urin und Abführung aufnehmen sollte und die auf keine Weise gereinigt werden konnte, war das Zimmer im Grunde sauber. Vermutlich wurde es täglich ausgespült.
    Die Tür wurde verriegelt. Durch die Gitter hörte er, daß der Mann in der Nachbarzelle da weitermachen wollte, wo der Wachhabende aufgegeben hatte.
    »Hallo, du, hier ist Robert. Wie heißt du? Und warum ist die Bullerei scharf auf dich?«
    Robert hatte auch kein Glück. Schließlich mußte er aufgeben, genau wie der Wachhabende.
    »Arschloch!« murmelte er nach einigen Minuten, laut genug, um die Botschaft an den Adressaten zu bringen.
    An der Rückwand des Zimmers verlief quer eine Erhöhung. Sie ließ sich vielleicht, mit äußerstem Wohlwollen, als Pritsche bezeichnen. Es lag keine Matratze darauf, und Decken waren auch nirgends zu sehen. Egal, er schwitzte in der Hitze ohnehin wie verrückt. Der Namenlose faltete seine Lederjacke zu einem Kissen zusammen, legte die blutgetränkte Seite nach unten und schlief ein.
     
    Als Håkon Sand am Sonntagmorgen um fünf nach zehn zum Dienst erschien, schlief der unbekannte Häftling noch immer. Das wußte Håkon Sand nicht. Er war verkatert, was nicht hätte sein
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