Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
Wänden hingen Fotos von Zierikzee, von seinem Schiff, eine Weltkarte, auf der mit rotem Filzstift eine in Küstennähe verlaufende Linie von der Schelde über Gibraltar durch den Suezkanal bis nach Sumatra eingezeichnet war.
    Überall standen Topfpflanzen herum. Sie verliehen dem Raum etwas vom Flair einer Provinzgärtnerei. Wir Holländer lieben Topfpflanzen, wahrscheinlich eine Marotte aus der Kolonialzeit, als die Heimkehrer ihre Fensterbänke mit Trophäen tropischer Regenwälder und Palmenstrände verzierten.
    Dick sah meinen Blick: »Die Pflanzen hab ich von verschiedenen Leuten, die sie wiederum von anderen haben, die vor der Wende abgehauen sind. Die botanische Hinterlassenschaft von Republikflüchtlingen, verstehst du. Es gibt einen richtigen Dschungel davon, verteilt auf die Haushalte von zurückgebliebenen Freunden. Eine Art verborgenes Sumatra in Ostdeutschland.«
    Er kam mit zwei langstieligen Genevergläsern zum Tisch und schenkte aus einer Tonflasche ein. Es war »Oude de Kuyper«, er trank aus kindlicher Eitelkeit immer diese Marke. Dann ließ er sich in einen schäbigen Sessel fallen, dessen Armlehnen aus braunem Skaileder aufgeplatzt waren und häßliche Schaumstoffwülste freigaben. »Ich habe Angst, Piet. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich richtige Angst. Ich bin froh, daß du gekommen bist. Du weißt gar nicht, wie froh ich bin!«
    Er seufzte schwer und hob das randvoll geschenkte Schnapsglas an den Mund. Seine Hand zitterte so, daß Tropfen den Stiel herabrannen.
    Ich schwieg. Schweigen ist schon lange meine bevorzugte Methode, Leute zum Reden zu bringen. Es kommt allerdings darauf an, wie man schweigt, Es muß ein Schweigen von höchstem Interesse, von freundschaftlicher Neugier sein, eine Stille voller Hilfsbereitschaft und Anteilnahme. Ich hatte offenbar ein Talent zu diesem Verhalten, das mir schon die Ausübung meines früheren Berufes als Psychotherapeut erleichtert hatte, aber auch meiner jetzigen Tätigkeit als Verhörspezialist bei der Groninger Mordkommission dienlich war.
    Diesmal allerdings war ich privat hier, und Dick war ein Freund, doch das machte keinen Unterschied. Fälle von in Bedrängnis geratenen Landsleuten im Ausland sind meine Spezialität. Dieser Mann, der mir gegenübersaß, war in Bedrängnis. Es war unumgänglich gewesen, einen Teil meines Weihnachtsurlaubes zu opfern.
    Ich hoffte, daß Dick nun auspacken würde. Aber er schien sich nur betrinken zu wollen. Immer wieder leerte er sein Glas, während ich über meines die flache Hand hielt. Es war also wohl doch notwendig, mein Schweigen zu brechen, zu fragen. Fragen ist nicht ungefährlich, denn Fragen lenken die Auskünfte häufig in Bahnen, die vom Problem wegführen.
    Ich räusperte mich. »Dick«, sagte ich. Er sah mich verzweifelt an. Sein mächtiger Brustkorb bewegte sich wie ein Blasebalg. In diesem Moment klopfte es an der Tür. »Das ist Ines«, sagte er. »Sie bringt unser Essen. Ines hilft mir im Buchladen und hier im Haushalt.«
    Er sah mich treuherzig an, und ich wußte, daß es die übliche Kombination war. Dick und sein gefallenes Töchterchen.
    Die Tür ging auf, und Ines erschien mit einer großen prallgefüllten Plastiktasche. Sie schälte sich aus einem schäbig wirkenden Kaninchenfellmantel und schlang ihre Arme um Dicks Hals, ohne mich eines Blickes zu würdigen. »Sag guten Tag, Ines«, sagte Dick. »Das ist mein Freund Piet.« Ines gab mir die Hand und machte einen Knicks, an dem ein Tanzschullehrer früherer Zeiten seine Freude gehabt hätte. Sie hatte glatte, schwarze, zurückgekämmte und zu einem Knoten verschlungene Haare. Ihr Gesicht war maskenhaft ebenmäßig, der große Mund sorgfältig geschminkt, die großen, bleifarbenen Augen dunkel umrandet. Sie hatte Rouge aufgelegt und sah älter aus, als sie vermutlich war. Ihr enges Schlauchkleid betonte ihre Brüste und ihr Gesäß.
    »Mach uns das Essen zurecht«, sagte Dick, der es offenbar genoß, mir vorzuführen, wie sehr er Herr im Hause war. Ines schnurrte wie eine Katze: »Mein Schatz, du weißt, daß ich alles für dich tue.« Das Wort »Schatz« klang in ihrem Mund nach Jahrmarkt und türkischem Honig, nach Flitter, Tand und Kettenkarussell. Jetzt erst streifte sie mich mit einem taxierenden Blick. Ines schien körperlich zwanzig, geistig sechzehn und seelisch zwölf zu sein.
    »Ines ist eine Süße«, sagte Dick mit einer Stimme, die einer Behauptung durch Lautstärke Glaubwürdigkeit zu verleihen sucht. Wahrscheinlich bist du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher