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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Autoren: PeP eBooks
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Wasser auf den Klos gab. Auch jetzt reagierte niemand. Es war, als brülle er in eine Leere, die vollkommener war als seine theatralische Wut.
    Schließlich fuhren wir in einen Tunnel. Es wurde schlagartig dunkel, und da die Innenbeleuchtung des Zuges ausgeschaltet war oder nicht funktionierte, entstand die gespenstische Stimmung einer Höllenfahrt ins Innere der Erde. Genauso plötzlich wurde es wieder hell, genauer gesagt, Dämmerung spendete bleigraues Licht, in dem die Gestalten der Mitreisenden nur noch undeutlich zu erkennen waren. Wir fuhren an einem großen See vorbei, den eine dünne Eisdecke still und tief wirken ließ. Ich nahm einen verwaschenen, weißen Fleck wahr und rieb an der Scheibe. Es war ein Schwan, der auf einem kleinen, eisfreien Loch mitten im See schwamm. Gleich darauf hielten wir. Ich war am Ziel.
    Ich ging auf dem Perron hin und her, blickte in die Gesichter, bis ich ihn plötzlich sah. Ja, kein Zweifel, er war es, Dick Kuyper, in einem blauen Rollkragenpullover, immer noch seemännisch aussehend, mit seinen breiten Schultern, dem schwarzen Backenbart. Ich ging auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Er packte sie und hielt sie fest mit einem Griff, wie ihn ein Ertrinkender am Dollbord eines Bootes haben mag. »Komm«, sagte er, »laß uns schnell zum Auto. Es ist besser, die Leute fangen nicht an, über dich nachzudenken, und darüber, warum ich dich hier abhole.«
    Er nahm meinen Koffer und eilte voran. Wir gingen durch dunkle Straßen, in denen es kaum erleuchtete Fenster gab, geschweige denn Laternen. Wir querten eine Brücke. Ihr Geländer war von Steinfiguren flankiert. Regen und Wind hatten die Gesichter zernarbt, die schwarzen Münder verzogen und die Augen zerfressen. Doch eine der Statuen schien in gutem Zustand. Als ich an ihr vorbeiging, spürte ich, daß sie lebte. Es war eine tief verschleierte Frau. Sie drehte den Kopf, als würde sie uns nachsehen.
    Wir gingen eine steile Lehmböschung hinab zu dem rauschenden Fluß. Noch hatte ich nicht viel mehr von der Umgebung wahrgenommen als einen beißenden, brenzligen Geruch, der meine Schleimhäute reizte. Über uns in dem verdämmernden Himmelslicht sah ich ein schloßähnliches Gebäude, dessen Fenstern ein unglaubwürdig helles, fast festlich wirkendes Licht entströmte.
    Dann waren wir bei seinem Auto. Dick öffnete die Tür und schob mich hinein. Ich mußte mich einknicken wie ein Taschenmesser, was sowohl an meiner außergewöhnlichen Körpergröße lag als auch an der erstaunlichen Kleinheit und Enge des Fahrzeugs. Auch Dick, der einen Kopf kleiner war als ich, mußte sich krümmen wie ein Wurm. »Ist dies einer dieser berühmt-berüchtigten Trabbis?« fragte ich. Er nickte. »Ja, diese rollenden Käfige, die man dem Völkchen hier verordnet hat, um die Selbsttäuschung einer Fortbewegung zu erwecken. Sie stinken nicht nur bestialisch, sie haben auch etwas Niederdrückendes an sich, ich meine, etwas, das dir jeden Mut raubt, größere Entfernungen überbrücken zu wollen, eine Art Drohung aus Blech, keine Republikflucht zu begehen. Man fährt in diesen Dingern immer in Demutshaltung.«
    Dick gab einen verächtlichen Schnauber von sich und ließ den Motor an, eine Prozedur, die ziemlich umständlich zu sein schien, denn es dauerte lange, bis eine permanente Vibration und vereinzelte, heftige Stöße die Annahme nahelegten, daß wir uns nun fortbewegten. Sehen konnte ich absolut nichts. Die Scheinwerfer waren zu schwach, um der trüben Unwirklichkeit draußen auch nur die mindeste Kontur abzugewinnen.
    »Wer war die Frau auf der Brücke?« fragte ich. »Kennst du sie?«
    »Es war bestimmt eine von denen. Es gibt hier jede Menge davon«, sagte Dick. Er wandte so unwillig den Kopf ab und drehte am Knopf des Radios, daß ich mich nicht getraute, weitere Fragen zu stellen. Ich starrte auf die kleine, schaukelnde Puppe, die als Maskottchen vom Innenspiegel herabhing. Ein Orang Utan mit rotbraunem Fell und kleinen, stechend blickenden Glasaugen.
    Dicks Wohnung war kalt, die Fenster mit Eisblumen bedeckt, die das Licht der einzigen Straßenlaterne draußen in Kristallschauern brachen. Dick ließ die Rolläden herunter, ehe er Licht machte. Während er sich am Ofen zu schaffen machte, hatte ich Zeit genug, mir die Einrichtung anzusehen. Unzweifelhaft war sie von dem Versuch geprägt, etwas von Dicks Heimat in diese Welt hinüberzuretten. Die Wände der kleinen Kochnische waren mit Delfter Kacheln aus Plastik beklebt. An den
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