Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
stimmt’s? Komm, mein Freund, alter Kumpel, hol mich zurück auf den Boden der Tatsachen oder, wenn es Dir lieber ist, in den Himmel der Phantastereien.
    Du wirst Dich fragen, warum ich nicht einfach hier abhaue. Ich habe mein ganzes Geld in diesen Laden investiert. Und ich habe ein Mädchen kennengelernt, für das ich Verantwortung trage. Aber das ist es nicht. Ich kann nicht weg, weil ich Sein und Schein nicht mehr unterscheiden kann. Wenn ich mich in den Zug setzte, würde ich vielleicht nur im Kreis fahren, um meine Wahnidee herum.
    Ich rechne fest mit Dir, Piet. Du läßt mich doch nicht im Stich? Telefonisch kannst du mich nicht erreichen. Sie haben mir den Anschluß abgeklemmt. Aber Du findest mich ganz leicht. Entweder im Laden am Marktplatz oder in meinem Haus, drei Kilometer außerhalb im Wald, Am weißen Berg, so heißt die Straße, Nummer zehn, oder aber im Leichenschauhaus.
    Dein alter Kumpel Dick.«
    Ich muß zugeben, daß ich immer noch einigermaßen verwirrt war, obwohl ich den Brief schon mehrfach gelesen hatte. Ich wußte nicht, was ich damit anfangen sollte. Vor allem verstand ich nicht, was Dick mit »Deutschling« meinte. Und dennoch war das Gefühl von Mal zu Mal stärker geworden, daß es sich um einen echten Hilferuf handelte.
    Ich bestellte noch ein Viertel Höllenberg, und während ich in kleinen Schlucken trank, dachte ich an die Zeit zurück, in der ich Dick Kuyper, wenn auch nur flüchtig, gekannt hatte.
    Ich war damals noch Psychologe gewesen und hatte einen Urlaub in Südholland verbracht, weil ich glaubte, ich müsse den Massenexodus meiner Landsleute nicht mitmachen, die Jahr für Jahr unser flaches, enges Land verlassen, mit der Hoffnung, sich in weniger überschaubaren Gebieten aus den Augen zu verlieren.
    Ich angelte damals ziemlich viel, wahrscheinlich, um meine Ängste vor dem Töten zappelnder, glitschiger Fischleiber zu bezwingen. Dick Kuyper war der stolze Besitzer eines ehemaligen Flußschiffes, mit dem er Touristen zum Angeln vor die Schelde fuhr. Der gewaltige Laderaum war zu einer einzigen großen Bar umgebaut. Zahllose Barhocker, alle am Boden verschraubt. In der Mitte ein großer Billardtisch. Die besondere Atmosphäre entstand durch exotische Pflanzen, Palmen, Bambus, Rotang. Dick hatte einen kleinen Regenwald installiert, den er bei Bedarf mit Quecksilberdampflampen beleuchtete und aus feinen Wasserdüsen besprühte. Es gab sogar eine Windmaschine für den Monsun und als besondere Attraktion einen riesigen, ausgestopften Orang Utan, der zwischen künstlichen Lianen hing und sanft hin und her schaukelte, wenn Dicks Boot auf der Schelde unterwegs war. An den Wänden des Laderaums waren echte Bullaugen installiert, hinter denen die Silhouette einer großen Insel zu sehen war. Ein koloriertes Großfoto von Sumatra. Ein sogenanntes Pleorama. So nannte man im 19. Jahrhundert optische Einrichtungen, die die Vorbeifahrt an Küsten simulieren. Per Knopfdruck von der Bar aus ließ es sich in schwankende Bewegungen versetzen. Der Effekt war überzeugend. Man konnte tatsächlich glauben, vor jener tropischen Insel zu kreuzen. Die Fahrten dauerten nie sehr lange. Bald lag das Schiff wieder fest im Hafen vertäut und diente als Privatkneipe. Eine Konzession hatte Dick nicht, auch keine Liegeerlaubnis, wahrscheinlich weil er die Gebühren nicht zahlte. Deshalb mußte er immer an anderen Kähnen festmachen, über die seine Gäste hinweg an Land turnten, wenn sie dazu spät in der Nacht überhaupt noch in der Lage waren.
    Dick hatte drei hervorstechende Eigenschaften: Er war der beste Billardspieler, den ich je erlebt hatte, er verfügte über Bärenkräfte bei einem kindlich-freundlichen Gemüt, und er hatte den Tick, sich väterlich um gefallene Mädchen zu kümmern. Er hatte damals als Barfrau, Geliebte und Schiffsjungen ein höchstens sechzehnjähriges Mädchen an Bord, das er auf dem Strich aufgelesen hatte. Sie tyrannisierte ihn, er schlug sie, heulte dann fürchterlich und versöhnte sich wieder mit ihr. Es war ziemlich anstrengend, mit beiden zu tun zu haben. Wenn Gäste sich an die Kleine heranmachten, wurde Dick fuchsteufelswild. Er hatte einen enormen Brustkasten und kurze, dicke Arme, die wegen ihrer gewaltigen Bizepse immer ein wenig vom Körper abstanden. Dick machte damals gutes Geld und gab es sofort wieder aus. Sein Traum war, mit seiner schwimmenden Bar nach Sumatra zu fahren. Er hatte sich den Kurs genau überlegt. Immer die Küste entlang, denn er hatte nur das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher