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Bleib bei mir, kleine Lady

Bleib bei mir, kleine Lady

Titel: Bleib bei mir, kleine Lady
Autoren: Barbara Cartland
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sich geht, das er so lange vernachlässigt hat.“
    In diesem Augenblick hatte Gracila eine Idee.
    „Ist Lord Damien eigentlich allein hier angekommen?“ fragte sie.
    „Ja“, antwortete Millet. „Das heißt, mit seinem Kammerdiener. Dorkins stammt aus dem nächsten Dorf und steht schon seit vielen Jahren im Dienst Seiner Lordschaft.“
    Lord Damien hatte also während der langen Zeit, die er im Ausland verbracht hatte, jemanden bei sich gehabt, der aus seiner Heimat stammte.
    „Verzeihen Sie, Mylady“, sagte Millet, der offensichtlich gemerkt hatte, daß Gracila in Gedanken abgeschweift war. „Ich würde jetzt gern meine Schwester holen. Sie muß eingeweiht werden.“
    „Natürlich“, sagte Gracila schnell. „Ich vertraue Mrs. Hansell ebenso hundertprozentig wie Ihnen, Mitty.“
    Der alte Butler ging, und Gracila hing wieder ihren Gedanken nach.
    Als Millet sich endlich einverstanden erklärt hatte, sie in Barons’ Hall zu behalten und sie dort zu verstekken, war ihr ein Stein vom Herzen gefallen. Jetzt jedoch fühlte sie sich plötzlich wie ausgelaugt.
    Der Schock des Nachmittags saß ihr noch in allen Gliedern, und sie hätte am liebsten losgeheult wie ein Kind.
    Alles war so abscheulich – ihre Stiefmutter betrog ihren Vater mit dem Herzog, und sie sollte diesen heiraten, damit die Liaison zwischen den beiden problemlos fortgesetzt werden konnte.
    Gracilas Vater hätte vielleicht jahrelang nichts gemerkt, aber hätte man mit ihr dieses gemeine Spiel lange spielen können?
    Gracila zweifelte daran.
    Sie mußte allerdings zugeben, daß sie nie im Leben auch nur mißtrauisch gewesen wäre, hätte sie das Gespräch in der Bibliothek nicht zufällig mit angehört.
    Wie hätte sie auch nur ahnen können, daß sich die Frau, die ihren Vater geheiratet und den Platz ihrer Mutter eingenommen hatte, so unmoralisch benehmen würde?
    Oder etwa, daß der Herzog, ein Gentleman, sie nur deshalb heiratete, weil er sein Verhältnis mit ihrer Stiefmutter problemloser fortführen wollte?
    Gracila kam sich beschmutzt vor.
    Sie versuchte, ihren gesunden Menschenverstand einzuschalten und sich zu sagen, daß gewisse Menschen nun einmal so waren. So unverständlich es sein mochte, diese Verhaltensweisen gehörten eben zu den menschlichen Schwächen.
    Sie hatte in Büchern von solchen Situationen gelesen, hatte aber immer geglaubt, daß sie in Wirklichkeit nicht passierten, schon gar nicht einem Menschen wie ihrem Vater.
    Die Tür der Geschirrkammer ging auf und Mrs. Hansell kam herein.
    Sie war eine ältere Frau mit einem freundlichen Gesicht. Wie erwartet, trug sie ein schwarzes Kleid und am Gürtel einen dicken Schlüsselbund.
    Sie kam mit kleinen Schritten auf Gracila zu.
    „Mylady, Mylady!“ rief sie. „Ich kann es immer noch nicht glauben, daß Sie wirklich hier sind.“
    „Nicht nur das, Mrs. Hansell“, entgegnete Gracila. „Ich brauche obendrein Ihre Hilfe, wie Ihnen Mitty sicher erzählt hat.“
    „Ja, das hat er mir erzählt, Mylady, aber ich weiß nicht, was Ihre Mama dazu sagen würde. Wirklich nicht.“
    „Ich versichere Ihnen, Mrs. Hansell, wenn Mama noch am Leben wäre, sie würde verstehen, warum ich weglaufen mußte und warum ich mich nur zu Mitty und Ihnen habe retten können.“
    „Also, Mylady“, sagte Mrs. Hansell, „ich kenne Sie ja nun schon, seit Sie auf der Welt sind, und könnte Ihnen nie eine Bitte abschlagen, geschweige denn, Ihnen die Tür weisen. Ich hoffe nur zu Gott, daß ich das Richtige tue.“
    „Bei Mitty und Ihnen bin ich in Sicherheit, und das ist das einzige, was zählt.“
    Mrs. Hansells Blick verriet Gracila, daß sie den richtigen Ton angeschlagen hatte.
    Ihre Sicherheit lag diesen braven Leuten am meisten am Herzen.
    „Also“, sagte Mrs. Hansell, als sei es das Beste, die rein praktischen Dinge möglichst schnell zu regeln, „ich bringe Sie in einem Zimmer unter, das ganz in der Nähe von meinem liegt.“
    Sie betrachtete den Bettbezug mit Gracilas Kleidern.
    „Nein!“ rief sie plötzlich. „Ich habe eine bessere Idee. Wenn ich Ihnen das Renaissancezimmer am äußersten Ende des Ostflügels gebe und selbst im Nebenzimmer schlafe, dann kommen Sie mit dem übrigen Haushalt überhaupt nicht in Berührung.“
    Sie überlegte einen Augenblick lang.
    „Also“, fuhr sie dann fort. „Seine Lordschaft ist ja eben erst zurückgekommen, und deshalb ist noch wenig Dienerschaft im Haus. Für mich arbeiten ein paar ältere Frauen, denen ich absolut vertrauen kann. Aber es
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