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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure
Autoren: Agatha Christie
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Typen, die immer mit Selbstmord drohen, sind die Letzten, die es täten, ganz bestimmt!»
    So? Iris dachte an Rosemary. Dann verdrängte sie den Gedanken. George hatte mit seiner Bemerkung nicht Rosemary gemeint, sondern einen skrupellosen jungen Mann in Rio de Janeiro.
    Für Iris bestand der Nettogewinn aus diesem Vorfall darin, dass Lucillas mütterliche Besorgnis sich ganz auf Victor konzentrierte und ihr Augenmerk von Iris’ Freundschaft mit Anthony Browne abgelenkt war.
    Nun also: «Sonst noch etwas, die Dame?» Die Veränderung in George! Iris konnte das Problem nicht mehr vor sich herschieben. Wann hatte es angefangen? Und wodurch war es gekommen?
    Auch jetzt, in der Rückerinnerung, konnte sie den Finger nicht genau auf den Zeitpunkt legen, als es ihr zum ersten Mal aufgefallen war. Nach Rosemarys Tod hatte George geistesabwesend gewirkt. Er war unaufmerksam und grübelte viel, war älter und schwerblütiger geworden. Das war alles verständlich gewesen. Aber wann genau hatte seine Zerstreutheit den Grad der Normalität verlassen?
    Es war wohl nach ihrer Auseinandersetzung wegen Anthony Browne gewesen, als sie zum ersten Mal bemerkte, wie verwirrt und gedankenverloren George sie anstarrte. Damals gewöhnte er sich an, früh aus dem Büro nach Hause zu kommen und sich in seinem Arbeitszimmer einzuigeln. Dort schien er überhaupt nichts zu machen! Einmal ging sie zu ihm hinein und fand ihn an seinem Schreibtisch; er brütete dumpf vor sich hin. Als sie ins Zimmer trat, sah er sie so ausdruckslos an, als sähe er durch sie hindurch. Wie ein Mann, der einen schweren Schock erlitten hatte, kam er ihr vor, aber als sie ihn fragte, was mit ihm sei, antwortete er nur knapp:
    «Nichts.»
    In der nächsten Zeit wirkte er immer abgehärmter, als bedrücke ihn eine schwere Last.
    Niemand im Haus hatte sich besonders darum gekümmert, und Iris schon gar nicht. Sorgen wurden immer bequem als «Geschäfte» abgetan.
    Erst als er anfing, ihr unvermittelt und scheinbar zufällig Fragen zu stellen, begann sie, sein Verhalten wirklich befremdlich zu finden.
    «Sag mal, Iris, hat Rosemary dir eigentlich viel erzählt?»
    Iris guckte ihn erstaunt an.
    «Sicher, George. Wenigstens – ja, worüber meinst du denn?»
    «Na ja, ich meine, von sich selbst – ihren Freundschaften – wie es ihr so ergangen ist. Ob sie glücklich war oder unglücklich. Solche Sachen.»
    Sie glaubte zu verstehen, worum es ihm ging. Er musste Wind von Rosemarys unglücklicher Affäre gekriegt haben.
    Langsam sagte sie:
    «Sie hat nie viel erzählt. Ich meine – sie war immer so beschäftigt – mit allem Möglichen.»
    «Und du warst ja auch noch ein Kind. Ja, ja. Trotzdem – ich dachte, sie hätte dir vielleicht was erzählt.»
    Er sah sie gespannt an – wie ein Hund, der auf etwas wartet.
    Sie wollte George nicht kränken. Und außerdem hatte Rosemary ihr ja wirklich nie etwas gesagt. Sie schüttelte den Kopf.
    George seufzte enttäuscht.
    «Nun, ist ja nicht so wichtig.»
    Ein anderes Mal fragte er sie plötzlich, wer Rosemarys beste Freundinnen gewesen waren.
    Iris überlegte.
    «Gloria King. Mrs Atwell – Maisie Atwell. Jean Raymond.»
    «Und wie vertraut war sie mit denen?»
    «Das kann ich nicht sagen.»
    «Ich meine – glaubst du, dass sie einer von ihnen etwas Vertrauliches mitgeteilt hätte?»
    «Ich weiß es wirklich nicht… Ich glaube eigentlich eher nicht… Was meinst du mit vertraulich?»
    In dem Moment, als sie die Frage stellte, wünschte sie, sie hätte es nicht getan. Umso mehr verblüffte sie seine Antwort.
    «Hat Rosemary jemals gesagt, dass sie vor jemandem Angst hätte?»
    «Angst?»
    «Worauf ich hinauswill, ist: Hatte Rosemary Feinde?»
    «Du meinst, unter anderen Frauen?»
    «Nein, nein, so nicht. Wirkliche Feinde. Könnte ihr nicht irgendwer – wüsstest du nicht jemanden – der – nun, der es auf sie abgesehen hatte?»
    Ihr offener Blick schien ihm Unbehagen zu bereiten. Er wurde rot und murmelte:
    «Klingt verrückt, ich weiß. Geradezu melodramatisch. Aber man fragt sich so dies und jenes.»
    Ein, zwei Tage später begann er, sie über die Farradays auszufragen.
    Wie oft hatte sich Rosemary mit den Farradays getroffen?
    Iris war sich nicht sicher.
    «Ich hab keine Ahnung, George.»
    «Hat sie je von ihnen gesprochen?»
    «Nein, ich glaube nicht.»
    «Waren sie eng befreundet?»
    «Na ja, Rosemary hat sich sehr für Politik interessiert.»
    «Erst nachdem sie die Farradays in der Schweiz kennen gelernt hatte. Vorher
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