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Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade
Autoren: Cathy Lamb
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setzen? Der lila Sitzsack sieht mir ziemlich einladend aus.«
    Ich ging auf sie zu.
    »Stopp!«
    Ich blieb stehen. Seufzte. Das war kein guter Tag.
    »Zuschlagen!«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Zuschlagen!«
    »Soll ich Sie schlagen?«, fragte ich. »Wie heftig?«
    Streng zeigte die Therapeutin auf die unter der Decke hängenden Sandsäcke – riesige, blutrote Kissen.
    »Schlag gegen die Säcke, bis deine Wut fort ist.«
    Ich setzte meine Handtasche ab.
    »Das würde Tage dauern. Ach, was: Monate. Nein, Jahre. Bekomme ich das stundenweise bezahlt? Und werde ich auch weiterbezahlt, wenn Sie zwischendurch nach Hause ins Bett gehen?«
    Emmaline verschränkte die Arme vor der Brust. »Zuschlagen! Jetzt!«
    Ich zuckte mit den Schultern. Ich würde mir vorstellen, es sei das Gesicht vom Schlappschwanz. Mein Mountainbike fehlte mir wirklich.
    »Stopp!«
    Ich sah die Teufelin an. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
    »Die Schuhe ausziehen! Schuhe haben eine schlechte Energie. Unser gesamter Zorn und Frust fließen durch unseren Körper zu den Füßen, und unsere Füße lassen Ohnmacht und Depression wie ein auf dem Kopf stehender Vulkan nach unten verrinnen. Lass die Schuhe, die Lava und die fliegenden Felsbrocken deiner Vergangenheit hinter dir zurück!«
    Ich blickte auf meine schwarz-lavendelfarbenen Stöckelschuhe.
    Mir ist durchaus klar, dass ich eine zu persönliche Beziehung zu meiner umfangreichen Schuhsammlung habe. Mein Schuhfimmel begann kurz nach dem Verlust von Johnny und Ally. Davor trugen Johnny und ich Tennisschuhe, Wanderschuhe oder Latschen, wir gaben so wenig wie möglich aus, weil wir mittellose Studenten waren. Die Schuhe von damals waren die besten und werden es auch immer sein.
    Doch als ich sechs Monate nach ihrem Tod eine neue Stelle in einer Werbeagentur antrat, kaufte ich mir ein Paar schwarzer High Heels. Ich war fest überzeugt, dass mein Herz durch den überwältigenden Schmerz meiner Trauer jeden Moment aussetzen würde. Die Schuhe boten mir eine Ablenkung, wenn es stressig wurde, und so kaufte ich mir ein Paar roter Stöckelschuhe, dann eines in Graubraun, und kurz darauf wurde ich wagemutig, übertrieb es ein wenig und erstand rosa Stilettos mit zehn Zentimeter hohen Absätzen und kleinen roten Gänseblümchen an der Seite.
    Die Schuhe lenkten mich ab, wenn ich an Johnny und Ally dachte. Ich weiß, dass das absolut oberflächlich klingt, aber ich hatte nichts anderes, an dem ich mich festhalten konnte. In meinem Kopf war nur ein Gedanke: »Ich will sterben.« Und ich schielte auf meine knallroten oder gestreiften oder getupften Stilettos und dachte darüber nach, in welchem Paar ich begraben werden wollte, und aus irgendeinem Grund befreite mich das ein wenig von meiner schweren, alles durchdringenden Niedergeschlagenheit.
    Zumindest konnte ich so die folgende Stunde überstehen. Und dann wieder einkaufen gehen und mich erneut ein bisschen ablenken.
    »Stoß diese Vulkane der Wut ab, Jeanne«, kommandierte Emmaline. »Trenne dich vom heißen Lavastrom der Frustration.«
    Ich musste schlucken und fühlte mich unsicher und cool zugleich. Dennoch zog ich die Schuhe aus. Barfuß stand ich da und war von Sekunde zu Sekunde verletzlicher. Ein ganzes Bündel von Gefühlen, mit denen ich mich nicht abgeben wollte, stürzte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf mich ein.
    Lange Zeit stand ich reglos vor dem großen roten Sandsack, doch nach und nach verwandelte er sich in alles, auf das ich wütend war. Ich schlug zu und brach mir fast das Handgelenk.
    »Stell dich nicht so an!«
    Ich hatte nicht gemerkt, dass Emmaline direkt hinter mir stand. »Schlag noch mal zu!«
    Ich gehorchte.
    »Und noch mal!«
    Gar nicht so übel. Immer und immer wieder hieb ich mit beiden Händen gegen den Sandsack, wie ein Boxer.
    »Jetzt mit den Füßen!«, befahl Emmaline.
    Ich trat mit den Füßen dagegen.
    »Tritt das Negative aus deiner Seele«, sagte sie. »Tritt alles seelenverderbende Übel aus deinen Nieren, deiner Leber, deiner Bauchspeicheldrüse, deiner Prostata und lass es aus deinen Füßen fließen.«
    Ich hielt inne. »Ich habe keine Prostata.«
    »Egal!«, dröhnte sie. »Tritt deine nicht vorhandene Prostata aus dem Körper!«
    Ich konzentrierte mich wieder auf den Sandsack und trat dann das Übel meiner nicht vorhandenen Prostata heraus.
    »Jetzt mit dem Hintern!«
    Ich schwitzte inzwischen, aber fühlte mich besser. Ich stürzte mich erneut auf den Sack. Er schwang zurück und warf mich beinahe
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