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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Autoren: Vea Kaiser
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Axt umgehen, aber niemand war professioneller Holzfäller. Alle fällten, was sie an Holz brauchten, Franz Patscherkofel hatte Stützbalken benötigt, Leopold Kaunergrat Brennholz für den Winter, und Johannes Gerlitzen war als Berufsschnitzer immer auf der Suche nach gutem Holz. Unfälle waren sie gewohnt, und den Doktor aus dem Tal konnte niemand leiden, da er sich für den Geschmack der Dorfbewohner viel zu unverständlich ausdrückte und unangemessen herablassend verhielt. Nur wenn es sich um lebensbedrohliche Notfälle handelte, wurde der Doktor gerufen, aber da der Weg ins Tal weit und beschwerlich war, kam er im Ernstfall meist zu spät. Dass Johannes’ Schulter ausgekugelt war, konnten sogar die Holzfäller diagnostizieren, und so hielt Franz Patscherkofel Johannes fest, damit sich dieser nicht bewegen konnte, während Leopold Kaunergrat ihm die Schulter einrenkte. Kurz darauf war die Schnapsflasche leer. Schließlich riefen die Männer noch Johannes’ Nachbarn herbei, den Tischler Karl Ötsch, um den gebrochenen Arm mit einer Holzmanschette ruhig zu stellen.
    »G’hupft wia g’hatscht, ob da Ötsch oder da Doktor«, sagte Johannes und biss auf Elisabeths zusammengefaltetes Kopftuch, während der Nachbar den oberen Teil der Schiene mit Kurznägeln zusammenklopfte.
    »G’hupft wia g’sprunga hoaßt des«, antwortete dieser und grinste, dass man seine halbverfaulten Zähne sah, auf denen der Raucherbelag wie Schimmel wucherte. Daraufhin brachen sie in Streit über diese Redewendung aus, und kaum dass die Schiene fixiert war, riss Johannes mit seiner gesunden Hand an den verfilzten Haaren des Nachbarn, während dieser versuchte, Johannes’ Ohr abzudrehen. Erst als Elisabeth einen Kübel Brunnenwasser über ihnen ausgoss, ließen sie voneinander ab. Seit sie Kinder waren, ging das so, und Elisabeth hatte, da sie unmittelbar neben den Ötschs wohnten, immer einen Kübel kaltes Wasser parat. Am Gartenzaun standen fünf davon.
    Das ganze Dorf hatte Schlimmes befürchtet, als Johannes und Elisabeth ein Haus neben Karl Ötsch bauten, aber Johannes hatte diesen Grund von seinem Großvater vererbt bekommen, und sich zu prügeln war 1959 nichts Verbotenes. Soweit sich die älteren Frauen des Dorfes erinnern konnten, hatten sich Johannes Gerlitzen und Karl Ötsch bereits das Holzspielzeug über die Köpfe gezogen, als sie noch in Windeln steckten. Die meisten Dorfbewohner glaubten, der Grund ihrer ständigen Auseinandersetzungen sei, dass sie so verschieden waren. Johannes war ein ruhiger und nachdenklicher Mensch, der lieber zuerst überlegte, bevor er vorschnell etwas sagte, während Karl Ötsch seine Meinung herausposaunte, ohne dass ihn jemand gefragt hätte – gern so laut, dass er bis ins Angertal gehört wurde. Neben dem hellhäutigen, groß gewachsenen Johannes sah Karl Ötsch aus wie ein Gegenentwurf, klein, rundlich, pausbäckig und mit dunkler Haut und rabenschwarzem Haar. Egal worum es ging, Karl und Johannes waren sich uneinig, und keiner von beiden war je bereit, dem anderen ohne Schmerzen recht zu geben.
    Anfangs störten sich weder Johannes noch Elisabeth daran, dass er wegen der Verletzung seinem Beruf als Schnitzer nicht nachgehen konnte, und auch Johannes’ Kunden hatten Verständnis, dass sich ihre bestellten Statuen, Ornamente oder Weihnachtskrippen etwas verzögern würden. Johannes und Elisabeth hatten erst im April geheiratet, alle 420 Bewohner hatten drei Tage lang gefeiert. Die Blasmusik hatte gespielt, im alten Feuerwehrwagen hatte man das Brautpaar von der Kirche ins Wirtshaus gebracht, ein Aufmarsch wie bei den Prozessionen zu Hochfesten. Dreizehn Jahre hatten die Dorfbewohner auf diese Hochzeit gewartet, da die beiden seit der Volksschule so gut wie verlobt waren. Schon lange bevor Johannes bei Elisabeth fensterln gewesen war, hatten die alten Frauen auf der Kirchenstiege überlegt, wie schön die Kinder der beiden sein würden. Johannes war etwas größer als die meisten Männer im Dorf und athletisch gebaut. Man konnte ahnen, dass er niemals den St.-Petri-Bierbauch ansetzen würde, der ab dreißig bei fast allen über der Hose hing. Er war feingliedrig, hatte starke Wangenknochen, doch das Beeindruckendste an ihm waren die Haare, die so blond waren, dass sie in der Dunkelheit leuchteten. Elisabeths Haare wiederum leuchteten im Sonnenlicht. Auch sie war blond, aber mit einem rötlichen Einschlag, der ihren locker gebundenen Zopf zum Funkeln brachte. Sie hatte eine gesunde
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