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BitterSueß

BitterSueß

Titel: BitterSueß
Autoren: Antje Ippensen
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haben wir …«
    »Genau!«, bekräftigte Alpha, die ganz offensichtlich nicht mehr darauf aus war, mich wegen Rumhurerei mit dem Kapital in die Pfanne zu hauen, »Janet hat recht, sowas können wir. Denkt mal, wie wir eigentlich heißen: Frauen kämpfen für Frauen e.V. Gerade deshalb sollten wir unseren Geschlechtsgenossinnen aus der Psychiatrie helfen.«
    Beifälliges Gemurmel unter den anderen Kollektivfrauen, die sich außerdem sichtlich freuten, dass zwischen Alpha und mir wieder Harmonie eingekehrt war.
    In der folgenden halben Stunde überlegten wir uns, wie das praktisch aussehen würde. Unsere neuen Gästinnen wären scheu, misstrauisch, müssten mit besonderer Wärme, aber auch wiederum nicht zuviel Herzlichkeit empfangen werden. Sina plädierte dafür, ein ganz spezielles Willkommens-Buffet zu gestalten, ein Vorschlag, der große Zustimmung fand.
    »… etwas Gesundes, Leckeres, mit viel Gemüse und heilenden, wohlschmeckenden Körnern und Kräutern«, meinte eine etwa 45jäh-rige, ausgesprochen mütterliche Frau.
    Ich lehnte mich etwas zurück und trank mein Bier aus. So ganz insgeheim, in einem versteckten Winkel meines Herzens, hegte ich Zweifel, ob das so funktionieren könne. Ich als Kassenfrau machte mir Sorgen und Gedanken über die Wirtschaftlichkeit des Weibernestes. Mit großer Sicherheit wären diese neuen Besucherinnen nicht gerade zahlungskräftig, und es stand auch eher NICHT zu vermuten, dass sie andere, finanzstärkere Frauen anziehen würden. Auf der anderen Seite liebte ich den schier unerschöpflichen, weiblich geprägten Idealismus, mit dem wir schon seit über einem Jahr – als sich das neue Kollektiv gebildet hatte – das windschiefe winzige Frauencafé am Laufen hielten. Selbstausbeutung pur, aber dafür auch Wärme, Witz, Phantasie, ein Zufluchtsort, an dem die harten Gesetze von »Draußen« nicht galten … Männer hatten hier keinen Zutritt, allein das schon machte uns radikal und extrem, und auch wenn ich selbst manchmal bedenklich darüber den Kopf schüttelte – ich mochte einfach diesen totalen Kontrast zu meinem restlichen Leben.
    Meine beiden Leben waren so scharf voneinander getrennt wie Tag und Nacht. Das Tagleben in F., beim Projekt, stellte sich grell dar und scharf umrissen, geldgeil und intrigant, angefüllt mit komplexen, herausfordernden, teilweise absurden Aufgaben, kalt glitzernd und sich selbst verzehrend in halb unterdrückten Begierden. Das Nachtleben im Weibernest gestaltete sich hingegen eher warm, weich, voll vager Herzlichkeit aber auch mit emotionalen Problemen behaftet, zwischen materieller Bescheidenheit und hohem idealistischen Anspruch schwankend, mit Gelächter und leidenschaftlichen Diskussionen, begleitet von Marihuana, Zigaretten, Bier, Wein die Stunden verplaudernd bei Kerzenschein, doch gleichzeitig nicht frei von kleinen Eifersüchteleien und Machtkämpfen, wobei ich die als geradezu niedlich empfand, nach allem, was ich vom Projekt her gewohnt war.
    Kein Wunder, dass mich jedoch die Spannung, die zwischen den zwei so verschiedenen Leben herrschte, manchmal schier zerriss, und ewig hatte ich mich in stark schablonenhafte Rollen hineinzuzwängen, wo blieb da ich selbst, wer war ich selbst wirklich, ich hatte keine Ahnung!
    Kein Wunder auch, dass ich mich gerade jetzt extrem nach Sex sehnte, auch wenn er letztlich nicht so befriedigend war, wie ich mir das vorstellte – vermochte nur er es doch, die Gegensätze und Widersprüche für kurze Zeit aufzulösen und mir immerhin einen Hauch von Entspannung zu schenken.
    Ich seufzte unhörbar, als ich bei diesem Punkt angelangt war mit meinen Gedanken und erkannt wieder, wie wichtig es war, mich mit meinem »Projekt Sexleben« zu beschäftigen.
    Mein Blick schweifte umher und blieb an Alpha hängen, die auch ruhig geworden war und gelassen an der Selbstgedrehten zog. Ihre starke Ausstrahlung, ihr blondes Haar, heller als meines, unter dem grüne Katzenaugen hervorblitzten – all das zog mich an und ich hatte Lust, mehr Zeit mit ihr zu verbringen.
    Der Göttin sei Dank nahte ja das Wochenende!
    Als sich endlich die wieder mal ins Uferlose ausartende Kollektivsitzung doch dem Ende zuneigte, trat ich zu Alpha und lud sie für Samstag zum Essen ein.
    Ihre nachdenkliche Miene hellte sich auf. »Vietnamesisch?«, fragte sie.
    »Klar, wenn du willst.«
5. November 2002
    Gestern früh schrak ich hoch, starrte auf den Wecker, hielt ihn verkehrtrum, glaubte, es sei 9.15 Uhr und sprang mit einem Satz aus dem
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