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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln
Autoren: Sujata
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lange geschwiegen hatte.
    »Aber wie kann es Sakura sein, wenn wir auch nach ihrem Tod noch Haikus erhalten haben?«
    »Es ist ein Geist, der mich wegen meiner Sünden quälen will«, sagte Norie.
    Wie schlimm waren diese Sünden? Ich räusperte mich und sagte: »Du und der Schulleiter. Hast du …«
    »Ja. Ich habe ihm schrecklich weh getan.« Nories Stimme bebte.
    »Mach dir deswegen kein schlechtes Gewissen, Obasan. Er hat dich manipuliert. Das gleiche macht er auch mit anderen Frauen der Schule. Heutzutage würde man so etwas sexuelle Belästigung nennen.«
    »Wie bitte?« Norie blieb stehen und starrte mich an. »Ich hatte keine Affäre mit dem Schulleiter. Ich wollte nur sagen, daß ich ihm weh getan habe, weil ich für den Unfall seiner Frau verantwortlich bin.«
    »Takeo hat mir erzählt, daß sie eine Treppe im Garten hinuntergefallen ist. Wieso sollte das deine Schuld sein?«
    »Ich stand am Fuß der Treppe und schnitt Narzissen für eine bevorstehende Ausstellung. Aber meine Schere war zu stumpf. Und weil ich damals mit Chika schwanger war, hatte ich nicht die Energie, die Stufen hochzugehen. Außerdem hatte es geregnet, und die Steine waren rutschig. Das hat mir angst gemacht. Also habe ich Mrs. Kayama, die weiter oben stand, gebeten, einer der Schülerinnen zu sagen, sie solle mir eine andere Schere bringen. Sie hat mir zugerufen, daß sie mir ihre eigene Schere bringen würde. Ich habe mich natürlich sofort entschuldigt – du lieber Himmel, ich hatte ja nicht erwartet, daß die Frau des iemoto sich zu so etwas herablassen würde –, aber sie war so nett und hat darauf bestanden, zusammen mit mir die Narzissen zu schneiden. Auf dem Weg zu mir ist sie dann mit dem Kopf voran die Treppe heruntergestürzt und in die Schere gefallen. Sie hat ihren Hals durchbohrt.«
    »Deshalb warst du so durcheinander, als du Sakuras Leiche in der Kayama-Schule gesehen hast. Das hat dich an Mrs. Kayamas Tod erinnert.«
    Tante Norie nickte. »Ja, und die anderen haben das auch gewußt. Ich habe nun schon zum zweiten Mal eine tote Frau mit einer Schere im Hals gefunden.« Sie schwieg ein paar Sekunden. »Du glaubst doch nicht etwa, daß wieder eine Leiche in der kura liegt, oder? Und ich sie entdecken soll, wie die beiden Male zuvor?«
    »Wir sollten auf die Polizei warten.« Als meine Tante mich erstaunt ansah, sagte ich: »Ich habe Lieutenant Hata informiert. Er schickt die örtliche Polizei.«
    »Ara! « rief meine Tante aus. »Dann hast du dort oben also nicht nur einen Catering Service angerufen, sondern auch die Polizei!«
    »Ja. Takeo hat mir nur gezeigt, wo ich in Ruhe telefonieren kann.«
    »Bist du sicher, daß du ihm vertrauen kannst?«
    Ich mußte daran denken, wieviele unterschiedliche Facetten seines Charakters ich schon kennengelernt hatte. Zuerst war er mir wie ein arroganter reicher Junge erschienen, dann wie ein möglicherweise gewalttätiger Umweltschutzaktivist und schließlich wie ein emotional höchst bedürftiger junger Mann, dem die Mutter fehlte.
    »Doch, ich glaube schon.« Ich wußte, daß das nicht sonderlich überzeugt klang.
    »Dann solltest du Takeo-san bitten, in die kura zu gehen. Er ist der Mann im Haus.«
    Norie wollte sehen, wie mutig oder ehrenwert sich Takeo in einer häuslichen Krisensituation verhalten würde. Aber das war die falsche Prüfung für ihn. Takeo würde für seine verwöhnte Schwester genausowenig einen Kimono holen wie ich.
    »Niemand geht da rein, solange die Polizei nicht da ist«, wiederholte ich. »Komm, kehren wir zum Haus zurück. In Gesellschaft der Shimura-Männer würde ich mich sicherer fühlen. Du nicht auch?«
    Tante Norie widersprach mir nicht.

28
    »Ich langweile mich zu Tode«, sagte Tom, der gerade im großen Salon des Hauses eine Schriftrolle begutachtete, als ich zu ihm trat. »Können wir gehen? Die Kayamas sind verschwunden, und ich weiß allmählich nicht mehr, was ich tun soll. Ich habe bereits sechs Runden im Kirschgarten gedreht.«
    Norie und ich wechselten einen Blick. Vermutlich dachte sie wie ich, daß es Tödlicheres gab als Langeweile. Nachdem ich die Geschichte von Mrs. Kayamas Tod gehört hatte, klang die Klage meines Cousins fast ein bißchen geschmacklos.
    »Tsutomu- kun , vielleicht brauchen wir dich noch. Wir sollten bleiben«, murmelte Norie und lächelte den immer noch eintreffenden Neuankömmlingen freundlich zu.
    »Du meinst, falls irgend jemand zu viel trinkt, was die meisten hier tun« – er deutete auf die Gäste im
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