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Bitte Einzelzimmer mit Bad

Bitte Einzelzimmer mit Bad

Titel: Bitte Einzelzimmer mit Bad
Autoren: Evelyn Sanders
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unbedingt nötig wolle er hier unten bleiben, vielleicht fahre er sogar noch früher ab.
    Verlobung unterm Weihnachtsbaum, Hochzeit im Mai – alles sehr stilvoll und bestimmt nach Muttis Geschmack. Ihre eigene Hochzeit war ja wohl ziemlich kläglich gewesen, damals so kurz nach der Währungsreform, um so mehr würde sie jetzt dafür sorgen, daß alles so ablief, wie eine richtige Hochzeit abzulaufen hatte. Mutsch im weinroten Knöchellangen, das sie sich zum fünfzigjährigen Firmenjubiläum hatte machen lassen, Vati im Smoking, der ihm wahrscheinlich gar nicht mehr paßte, Karsten fluchend im korrekten Anzug, Oma in ihrem silbergrauen Opernkleid, Onkel Anton im Bratenrock und Tante Sophie großgeblümt – und sie selbst ganz in Weiß mit viel Tüll auf dem Kopf und Maiglöckchenstrauß. Klaus natürlich im Frack. Die Figur dazu hatte er ja. Und eine richtige Kutsche wollte sie haben mit vier Pferden und …
    Mitten in ihre Backfischträume hinein klopfte es.
    »Luigi steht mit dem Taxi unten und will das Gepäck holen. Sind Sie fertig, Tina?«
    »Sofort! Ich muß bloß noch einen Koffer kaufen!«
     
    Das große Türenschlagen lief am Zug entlang. Tinchen lehnte aus dem Abteilfenster und überblickte noch einmal das zahlreich erschienene Abschiedskomitee. Lilo stand da und Enrico, Bobo war gekommen und hatte ihr den vergessenen Schlüsselanhänger gebracht. ›Sole mio‹ würde den Winter über bei ihm bleiben, vorausgesetzt, er würde ihn noch einmal in Gang bringen können. Als Tinchen gestern ihre Abschiedsrunde gedreht hatte, war er genau vor Signora Ravanellis Laden stehengeblieben und hatte keinen Ton mehr von sich gegeben. Aber sie hatte ja schon immer gewußt, daß ›Sole mio‹ kein gewöhnliches Auto war. Es hatte Charakter! Und eine Seele! Es mußte wohl geahnt haben, daß es vorläufig nicht mehr gebraucht wurde.
    Sogar Lorenzo hatte sich eingefunden und Tinchen eine Tüte zugesteckt. »Kleine Souvenir!« hatte er gesagt. Ganz verlegen war er geworden, als sie sich überschwenglich für das Seidentuch bedanken wollte. Geliebäugelt hatte sie schon lange damit, aber es war so sündhaft teuer gewesen.
    Zum dritten Mal schüttelte Luigi ihre Hand. »Nächstes Jahr ick komme auch nach Deutschland. Muß kaufen neues Taxi. Wenn genug Zeit, ick komme auch nach Dusseldorf«, versprach er.
    »Düsseldorf, nicht Dussel!« verbesserte Tinchen.
    »Makt nix, ick finde beides!«
    Signor Poltano blickte mahnend zu Tinchen und zeigte auf die Uhr. Schon zwei Minuten Verspätung. Eine würde er noch zugeben, aber dann war Schluß!
    »Du kommst doch zur Hochzeit, nicht wahr, Tinchen?« forderte Lilo zum siebenundzwanzigsten Mal, »du sollst doch meine Brautjungfer sein. Natürlich bist du eingeladen. Enrico schickt dir die Flugkarte, und in Mailand holen wir dich ab.« Enrico nickte bestätigend. Wenn seine Lilo unbedingt eine deutsche Brautjungfer brauchte, obwohl es in seiner Verwandtschaft nun wirklich genügend junges Gemüse für diesen Zweck gab, dann sollte sie sie haben.
    Herr Poltano hob die Kelle. Der Zug ruckte an.
    »Im nächsten Frühjahr kommen Sie doch bestimmt wieder? Ihr Zimmer halte ich frei, da kommt mir kein anderer rein!« versprach Schumann. Er durchwühlte seine Hosen nach einem Taschentuch. »Nur zum Winken«, wie er versicherte. Dabei fiel die Tüte, die er bis jetzt krampfhaft festgehalten hatte, zu Boden. Schnell hob er sie auf und trabte neben dem anfahrenden Zug her. »Die ist für Sie, Tina. Ein bißchen was für unterwegs. Kaltes Huhn und ein paar Pfirsiche.«
    Tinchen winkte, obwohl sie gar nichts mehr sehen konnte. Ein Tränenschleier hing vor ihren Augen. Dann kam endlich der Tunnel, und sie konnte sich ausgiebig ihrer derzeitigen Lieblingsbeschäftigung widmen: sie heulte.
    Als der Zug in Loano einlief, tropften die Tränen zwar immer noch, aber Tinchen wischte sie schnell ab und öffnete das Fenster. Klaus würde für ihr verschmiertes Gesicht bestimmt Verständnis haben, vielleicht glaubte er sogar, daß sie seinetwegen in Abschiedsschmerz versunken war. Wo steckte er bloß? Sie konnte ihn nirgends entdecken, obwohl er doch versprochen hatte …
    »Hallo, Aschenbrödel! Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet, daß du den Zug verpaßt. Du bist doch noch nie irgendwo pünktlich gewesen!«
    Beinahe hätte sie ihn nicht erkannt. Der sonst so konservativ gekleidete Doktorand hatte sich wieder in den Prinzen zurückverwandelt, als den Tinchen ihn kennengelernt und in den sie sich
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