Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
Krise mit hohen Fiebergraden und Deliriumsymptomen. Er, der in allen großen Dingen jämmerlich zu Kreuze kroch, wollte sich jetzt mit Europa schlagen wegen »seinem« Kanton Neuenburg oder richtiger Neuchâtel, da kein Mensch dort deutsch reden will. Vor fünf Jahren hatte das Londoner Protokoll zwar festgelegt, dies Stück Schweizer Erde solle bei Preußen bleiben. Doch die Eidgenossenschaft ließ sich solche Unnatur nicht aufhalsen, sondern bezog den Kanton in sich ein und erwies sich so störrig wie der Stier von Uri gegen alle Proteste und Drohungen, die zugleich das Asylrecht für die Achtundvierziger antasten wollten. Und als die an Preußen hängenden Royalisten Neuchâtels einen mißglückten Putsch versuchten, warf man sie ins Gefängnis und verklagte sie auf Leib und Leben.
    Hochauf schwoll der königliche Zorn, der preußische Adler schrie durchdringend: »Das ist der alte Geist der Revolution! Die Schweizer Demokratie ist eine Pestilenz, die strenger Kur bedarf. Man muß die Pestbeulen ausbrennen. Ich mobilisiere.«
    Auf einem pomphaften Diner, das Otto dem neuen russischen Gesandten Fonton geben mußte, war von nichts anderem die Rede, sofern nicht die zwanzig Nummern des Menus und die fremdartigsten Weine das befriedigte europäische Gleichgewicht dieser echten Staatsmänner auf sich zogen. Er beschwichtigte, die Sache werde sich schon beilegen. Daß Rußland dies kostspielige Diner einsteckte wie jede andere Bestechung, ohne sich zu revanchieren, daß die anderen Großmächte sich den Mund wischen und draußen auf den freundlichen Gastgeber Preußen sticheln würden, wußte er sehr gut. Mit komischem Entsetzen besah er sich nachher die leergebrannte Stätte. »Diese Geld- und Stoffverwüstung! Doch ob Christian oder Itzig, das Geschäft bringt's halt so mit sich.«
    »Du wirst uns noch arm fetieren«, knauserte Johanna.
    »'s langt schon. Mein Pächter in Schönhausen zahlt jetzt prompter. Preußen darf sich nicht lumpen lassen, die verdammtepreußische Sparsamkeit hat uns damals in Dresden genug geschadet. Der große Schwarzenberg in seiner Salomonischen Pracht, und der kleine Manteuffel, der wie ein Kanzleidiener aussah!«
    »Das tust du freilich nicht, aber du warst immer ein Verschwender«, schmollte sie.
    »Bin ich auch, halte aber doch mein Gut zusammen. Zieh' ich mich auf mein Altenteil zurück als verbrauchter, abgeschliffener Staatsbeamter a. D., werden die Bengel noch nicht bankrott sein und Mariechen eine anständige Aussteuer bekommen.«
    »Höher versteigen sich meine Wünsche nicht«, seufzte sie bescheiden. »Doch wir geraten noch in Schulden, wenn kein Wunder geschieht.«
    »In Schulden stehen wir immer, bei Gott nämlich, der uns täglich Darlehen spendete. Und in Wundern stecken wir mitten drin,« setzte er mit gewaltigem Ernst hinzu, »z. B. daß wir geboren werden und sterben, daß wir Bäume und Gras als grün sehen, was sie gar nicht sind, weil das unsern Augen zuträglich ist, oder daß unser kleines Gehirn die Welt umfaßt. Diese ungeheuren Wunder können wir auch nicht erklären, wir haben uns nur daran gewöhnt, doch wenn ein Phänomen das gewöhnliche Geleise übertritt, ist es ein Wunder, also unwahr, abgetan. Ich aber sage dir: es werden noch Zeichen und Wunder geschehen mit Hilfe des allmächtigen Gottes, und nachher wird man sie natürlich finden, o, so natürlich!« Unsägliche Bitterkeit lag in seiner Stimme. »Ja, und was ich sagen wollte: Der grüne Lampenschirm ist defekt, und der Pfropfenzieher muß repariert werden. Es war auch ein Loch im Ärmel der einen Livree.« Was Otto manchmal für eine Sprache führte! Fromm oder gottlos? –
    Friedrich Wilhelm hätte zufrieden sein sollen mit den Früchten, die jetzt aus Ottos privater Berührung mit Kaiser Louis reiften. Ein Staat gewinnt allemal, wenn ein fremder Herrscher sich überzeugt, es befinde sich dort wenigstens ein Vernünftiger, mit dem man rechnen und Geschäfte machen könne. Bei Ottos sonderbarer Schätzung von Louis' Ethik sprach wahrscheinlich das geheimnisvolle unabänderliche Gesetz der Gegenseitigkeit mit, denn Louis hatte genau die gleiche Meinung von ihm: das sei ein ganz kluger, aber durchaus nicht so gefährlicher Mann von zuverlässigem, ehrenwertem Charakter. Man hatte ihm versichert, er habe es mit dem künftigen Ministerpräsidenten zu tun, und das erfreute ihn, mit dem wollte er sich gut halten.
    Louis behandelte also den strampelnden und mordioschreienden König wie ein krankes Kind, sang
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher