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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit
Autoren: P Daschkowa
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hätten Sie eine Million im Lotto gewonnen!«
    Am Strand setzte sich Danilow in seinen Strandkorb, legte sich eine Decke über die Beine und bestellte einen Becher Glühwein mit Zitrone und Vanille – genau solchen Glühwein hatte er vor dreißig Jahren mit seiner Mutter in Nizza getrunken.
    Sie war damals gerade aus Russland zurückgekehrt. Ihre Augen hatten geglänzt, sie hatte gelächelt und sowjetische Witze über Breshnew erzählt, die sogar sie als ausländische Touristin gehört hatte.
    Sie hatte erzählt, dass sie es sich auch diesmal, genau wie bei ihrem ersten Besuch, nicht hatte versagen können, das Haus in der Zweiten Twerskaja aufzusuchen. Das Haus habe noch dagestanden, als wäre nichts passiert. Natürlich sei es gealtert, der Putz abgeblättert. Im dritten Stock, an den Fenstern ihres Zimmers, hingen gestreifte Vorhänge. Das Esszimmerfenster sei offen gewesen, auf dem Fensterbrett hätten Blumentöpfe gestanden.
    Die Vorstellung im Theater an der Taganka sei großartig gewesen, besonders Wyssozki als Hamlet.
    Sie hatte für ihren Sohn zwei Wyssozki-Kassetten gekauft, allerdings nicht in Moskau, sondern in Paris. Dann hatte sie lange und geheimnisvoll geschwiegen, bevor sie zum Wichtigsten kam.
    »Fjodor hat gehalten, was er versprochen hat. Er hat es so eingerichtet, dass wir nebeneinander saßen, in der fünften Reihe im Parkett. Hier, das ist für dich vom Genossen General.« Sie nahm ein kleines Foto von Dmitri aus ihrer Handtasche. »Siehst du, er hat sich einen Bart wachsen lassen. Ich finde, das steht ihm. Und Vera ist schwanger, glaube ich. Sie sieht gut aus.«
    Sie waren am leeren Strand spazieren gegangen. Niemand hatte gebadet, die Saison war längst vorüber. Es hatte starkerWind geweht, genau wie jetzt hier, aber der Wind war nicht so kalt und scharf gewesen.
    Er wusste damals nicht, dass sie nur noch zweieinhalb Monate leben würde, und er war nur für einen Tag gekommen. Sie hatte ihn nicht zum längeren Bleiben zu überreden versucht und ihm nichts gesagt. Gleich nach seiner Abreise war sie in die Klinik gegangen, die Operation war missglückt und hatte nur bestätigt, dass es keine Hoffnung mehr gab.
    Aber an jenem Tag wäre ihm so etwas nie in den Sinn gekommen. Seine Mutter sah großartig aus mit ihrer schlanken Taille und ihrem geraden Rücken. Sie hatte ihr Haar immer lang getragen und zu einem Knoten gebunden.
    Nur ein einziges Mal, noch in Moskau, hatte sie es abgeschnitten, das war 1920 gewesen, damals hatte sie Typhus. Er war noch ganz klein gewesen, drei Jahre alt. In seinen frühesten Erinnerungen sah er seine Mutter so vor sich – mit kurzem Haar. Eines Morgens hatten die Kinderfrau und er seine Mutter zum Dienst ins Lazarett gebracht. Als sie hineinging, hatte er ihr nachgeschaut, und daran erinnerte er sich bis heute. Der Wind hatte das kurze blonde Haar gezaust, genau wie bei dem Mädchen dort in der braunen, für dieses Wetter viel zu dünnen Jacke.
    Das Mädchen stand ganz in der Nähe, mit dem Rücken zu ihm, und blickte aufs Meer. Ihr Gesicht konnte Danilow nicht sehen. Zwei Schritte von ihr entfernt telefonierte ein hochgewachsener Mann auf Russisch. Das Mädchen trug eine Aktentasche über der Schulter. Genau so eine hatte Danilow vor kurzem für Dmitri gekauft und Fotos hineingelegt, damit Sofie sie sah.
    Der Mann steckte das Telefon weg, sagte etwas zu dem Mädchen, setzte ihr die Kapuze auf, und als sie Danilow ihr Profil zuwandte, konnte er ihr Gesicht sehen.
    »Sofie«, sagte Danilow so leise, dass es bei den Möwenschreien und dem Meeresrauschen kaum jemand gehört haben konnte.
    Doch er konnte nicht lauter sprechen. Seine Kehle war wie zugeschnürt.
    »Verzeihung, was haben Sie gesagt?«
    Nun stand sie vor ihm und sah ihn an.
    »Sagten Sie Sofie?«, fragte sie auf Russisch. »Heißen Sie Michail Pawlowitsch Danilow?«
Moskau 1917/18
    Am letzten Tag des Jahres tauchte in der Wohnung in der Zweiten Twerskaja ein Tannenbaum auf. Er war klein und dürr. Agapkin hatte ihn bei einem betrunkenen Soldaten an den Patriarchenteichen gekauft. Der Stamm war so dünn, dass er aus dem Ständer kippte und mit Lappen umwickelt werden musste. Sie holten den Baumschmuck hervor und zündeten Kerzen an.
    Es war nach wie vor kalt, aber nun hatten sie noch zwei weitere Öfen. Brennholz war teurer als Brot, den Kleiderschrank hatten sie längst verheizt, nun war der alte zusammenklappbare Esstisch an der Reihe, der zwanzig Jahre in der Kammer gestanden hatte.
    »Das wolltest du
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