Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt
Autoren: Olaf Buettner
Vom Netzwerk:
zu bremsen. Er war wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen. Mir selbst war eher unheimlich bei dem Gedanken, was letzte Nacht hier passiert war.
    Noch bevor wir auf der anderen Straßenseite angekommen waren, sah ich Marlenas blondes Haar hinter der Scheibe des Geschäftsraumes. Die Absperrung, vor der ein paar Schaulustige ihre Neugier befriedigten, wurde von einem Polizisten in Uniform überwacht. Als Marlena herauskam, sah sie uns sofort. Sie gab dem Uniformierten ein Zeichen, dass er uns vorbeilassen könne.
    Â»Die Spuren sind so weit gesichert«, erklärte sie und winkte uns zu sich. »Wir geben die Tankstelle jetzt wieder frei.«
    Das dumpfe Flattern in meinem Bauch steigerte sich. Ich war noch nie an einem Ort gewesen, an dem vor Kurzem jemand ermordet wurde. Mir war, als könne man den Tod noch riechen. Nils grüßte ein paar Kollegen seiner Mutter.
    Â»Hallo, ihr beiden.« Marlenas Lächeln war kaum sichtbar. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die ein leichter Wind sofort wieder zurücktrieb.
    Â»Gibt’s was Neues?«, fragte Nils.
    Â»Der Angestellte, Bernd Kügler«, Marlena zeigte auf einen blassen, etwa dreißigjährigen Mann, der etwas abseits stand und noch immer verwirrt schien, »hat ausgesagt, dass die Täter Handschuhe trugen. Jetzt haben wir das Video noch mal überprüft. Der Mann täuscht sich. Einer der Täter hatte definitiv keine Handschuhe.«
    Â»Wichtig?«, fragte Nils.
    Â»Könnte gut sein«, meinte Marlena, »er war derjenige, der sich nach der Brieftasche des Toten gebückt hat.«
    Nils wollte wissen, ob der Typ die Brieftasche angefasst hatte. »Das kann man dummerweise auf dem Video nicht genau sehen, weil der Tresen davor ist. Kügler, unser einziger Zeuge, sagt Ja. Aber ob das auch stimmt?«
    Â»Warum hat der Täter sie nicht mitgenommen?«
    Â»Nach Küglers Aussage hat er sie wieder fallen lassen, als das spätere Opfer ihm mit der Faust auf den Kopf geschlagen hat. Danach ist alles sehr schnell gegangen und keiner hat mehr auf die Brieftasche geachtet. Die haben wir. Jetzt hoffen wir auf Fingerabdrücke.«
    Wir schauten alle zu Kügler rüber, als wollten wir die Zuverlässigkeit seiner Aussage einschätzen. Er war im Gespräch mit einer jüngeren Polizistin, die ihn zu beruhigen versuchte. Er schien kurz vorm Losheulen.
    Â»Ich glaube, er braucht psychologische Betreuung«, schob Marlena ein und fuhr dann fort: »Die Brieftasche ist im Labor. Vielleicht haben wir Glück.«
    Â»Und sonst?«
    Â»Nicht viel.«
    Trotzdem wirkte Marlena nicht pessimistisch. Während des Redens waren wir ins Kassenhäuschen gegangen. Auf dem Boden war noch die Stelle gekennzeichnet, wo der Tote gelegen hatte. Direkt daneben sah ich Blutspuren. Auf einmal bekam ich ein widerwärtig flaues Gefühl im Magen. Mir wurde schwarz vor Augen und die Stimmen um mich her entfernten sich.
    Â»Hey, Klara!« Nils’ Worte drangen wie durch tausend Schleier zu mir durch. »Alles okay?«
    Â»Alles okay«, antwortete ich. »Kein Problem.«
    Langsam gewannen Gegenstände und Menschen ihre Konturen zurück. Sogar der Aufruhr in meinen Innereien beruhigte sich etwas.
    Â»Geht besser raus an die frische Luft«, schlug Marlena vor. Sie klang besorgt.
    Nils nahm meinen Arm und wollte mich vor die Tür führen. »Ich kann alleine gehen«, zischte ich ihn an und schüttelte seine Hand ab.
    Â»Ist wirklich alles okay?«, fragte er, nachdem ich draußen ein paarmal tief durchgeatmet hatte. Er ließ mich nicht aus den Augen. Das machte mich nervös. Der ganze Typ machte mich plötzlich nervös.
    Â»Mir war nur ein bisschen übel. Sicher zu viel Kaffee.«
    Â»Du brauchst dich nicht zu schämen.«
    Was dann kam, war so überraschend, dass ich mich nicht dagegen wehren konnte: Mit zwei Fingern streichelte er mein Gesicht.
    Â»Ich finde es eher seltsam«, sagte er, »wenn Leute sich so was mit dem gleichen Gefühl angucken wie im Kino.«
    Seine Hand hatte er schon wieder zurückgezogen. Ich ärgerte mich, dass ich ihm nicht rechtzeitig draufgeklopft hatte. Und noch viel mehr ärgerte ich mich, dass ich dieses herablassende Streicheln gar nicht so herablassend fand. Ich wusste selbst nicht, was mit mir los war.
    Die Stunden vergingen und Pit meldete sich nicht. Mit jeder Minute ärgerte ich mich mehr über
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher