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Bis dein Zorn sich legt

Bis dein Zorn sich legt

Titel: Bis dein Zorn sich legt
Autoren: Åsa Larsson
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singen sie ein frommes Lied, dass es zwischen den tristen Wänden nur so widerhallt. Der Gefängnisgeistliche freut sich über Hjalmar. Hjalmar ist groß und Respekt einflößend, und deshalb kommen alle, die bei ihm gut angeschrieben sein wollen, jetzt zu den Mittwochsandachten. Und der Geistliche kann der Gemeinde die Ergebnisse seines Wirkens zeigen, und alle sind zufrieden. Denn es ist doch herrlich, wenn diese kriminell belasteten Männer sonntags Ausgang haben, um den Gottesdienst in der Filadelfiakirche zu besuchen. Sie legen Zeugnis für Jesus ab. Und sie erzählen gern über ihr elendes Leben vor der Bekehrung, sodass die ganze Gemeinde wohlig erschauert.
    Am glücklichsten ist Hjalmar. In seiner Zelle liegen neue Mathebücher.
    Seine dicken Wangen sind rosig. Er singt gern, stimmt ein in »Kinderglaube, Kinderglaube, im Himmel bist du eine goldene Laube«.
    Er macht gern Scherze und sagt, dass er die Regierung niemals um Gnade ersuchen wird.
    Ich rudere. Zwei Raben kommen über die Kiefernwipfel geflogen. Sie kreisen über uns. Rundherum. Ich schaue hoch zu ihren schwarzen, langen, gespreizten Flügelfedern, ihren keilförmigen Schwänzen. Ich höre das Rauschen ihrer Flügelschläge über unseren Köpfen, und dann gleiten sie herab und landen auf dem Bootsrand. So selbstverständlich, als ob sie diesen Platz gebucht hätten. Es würde mich auch nicht wundern, wenn sie unter ihren Flügeln jeder seine kleine schwarze Reisetasche hervorzögen. Ihr Federkleid schimmert wie ein Regenbogen in der Sonne, ihre Schnäbel sind so voller Kraft, schwarz, mit einem kleinen Schnurrbart an der Schnabelwurzel, sie haben dicke Halskrausen aus Federn. Einer schnappt nach einer Bremse, die uns auf das Wasser hinaus gefolgt ist. Sie plappern miteinander mit ihren vielen r-Lauten, sie scheinen »korp-korp-korp« zu sagen. Aber dann hört einer sich plötzlich an wie ein kollernder Hahn, und der andere scheint loszuprusten. Ich weiß nicht, was ich von diesen Vögeln halten soll.
    Ich rudere. Lasse das Ruderblatt tief ins Wasser gleiten und hole aus. Ich genieße es, meinen Körper wieder zu spüren. Genieße den Schweiß, der meinen Rücken hinabläuft. Das Ruder, das so viele Jahre lang benutzt worden ist, liegt glatt in meinen Händen. Das Gefühl in den Muskeln von Rücken und Armen bei jedem Ruderschlag, Kraftaufwand, Anstrengung, Ermüdung, Erholung.
    Jetzt schaffst du es allein, sagt Anni und erhebt sich. Ich muss zurück. Sie werden dich noch ein Stück begleiten. Ich sehe, dass sie zu den Vögeln hinübersieht. Die glucksen und räuspern sich als Antwort.
    Dann ist sie verschwunden. Die Raben sehen mich aus ihren schwarzen blanken Glasaugen an. Ich muss einfach weiterrudern.
    Die Sonne wärmt. Die Raben öffnen ihre Schnäbel. Sie sind jetzt stumm. Ich empfinde nur Glück. Es steigt in mir auf wie der Saft in einer Birke.
    Jetzt heben die Raben mit einem Ruf ab. Sie fliegen mit kräftigen Flügelschlägen in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Verschwinden durch den Himmel.
    Ich rudere. Ich bin stark und unbezwingbar wie ein Fluss, und ich rudere. Ich stemme mich mit den Füßen ab, mache lange Ruderschläge.
    Ich komme, denke ich glücklich. Jetzt komme ich.

Sonntag, 3. Mai
    ENDE DES WOCHENENDES. Das sanfte Licht der Abendsonne fällt seitlich in Rebeckas Küche in Kurravaara.
    Måns sieht Rebecka an. Er hat wahnsinnige Sehnsucht nach ihr, obwohl sie nur anderthalb Meter von ihm entfernt sitzt. Ihre glatten dunklen Haare. Die Augen mit dem dunkelgrauen Rand um die Iris. Er hat sie umarmt. Hat sie geliebt. Wenn auch vorsichtig. Sie hat überall blaue Flecken. Es geht ihr noch immer schlecht, ihr wird schwindlig, und sie ist oft müde von der Gehirnerschütterung.
    Er sieht die Narbe über ihrer Lippe an. Die liebt er. Diese Narbe liebt er ganz besonders. Vor allem liebt er das, was hässlich ist. Ihn erfüllt eine Zärtlichkeit wie die, mit der er seine Tochter zum ersten Mal auf dem Arm gehalten hat.
    »Wie fühlst du dich?«, fragt er und schenkt Wein ein.
    Rebecka liest das Etikett. Viel zu fein. Vergeudet an sie.
    »Gut«, sagt sie.
    Sie empfindet nichts zu dem Geschehenen. Denkt nichts. Wie war es, dort im Eisloch zu liegen? Unter das Eis gezogen zu werden? Schrecklich, natürlich. Aber jetzt ist es doch vorbei. Sie kann Måns’ Besorgnis spüren. Dass er denkt, dass sie wieder krank werden wird. Seine Stimme klingt lässig, zu lässig.
    Etwas liegt zwischen ihnen. Sie hat sich so danach gesehnt, dass er
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