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Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt
Autoren: Joerg Riehl
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nach Art der Aborigine-Malerei: Eidechsen, Kängurus, Schlangen und Platypusse. Ralf kaufte ein langärmliges Hemd mit Schnabeltieren und zog es über. Miriam war nirgends zu sehen. Hätte er sie doch gefragt, in welchem Backpacker sie übernachtete! Es war zu spät, alle abzuklappern. Was hätte Ralf jetzt für ein blödes Horoskop gegeben oder irgendjemanden, der ihm sagte, was er tun sollte. Wo waren die verdammten Zeichen, was hatte das Schicksal mit ihm vor?
    Um einen Postkartenständer vor einem Laden stand ein Pulk junger Leute. Keins der kichernden Mädchen hatte besondere Ähnlichkeit mit Miriam, aber Ralf wollte sichergehen und sah sie sich näher an. Wenn Miriam Recht hatte und es trotz Bestimmung auch Entscheidungsfreiheit im Leben gab, musste man, statt nur Hauptdarsteller des eigenen Films zu sein, auch am Skript mitschreiben. Jetzt zum Beispiel wüsste er genau, wie es weitergehen sollte, sie müsste einfach aus dem Laden kommen und sie würden reden.
    Aber niemand kam. Ralf setzte sich wieder ins Auto und fuhr los, um eine letzte Runde zu drehen. Ein Rettungswagen tauchte im Rückspiegel auf und raste, mit Licht und Schall um sich werfend, vorbei. Ralf fühlte sich leer im Kopf, mit dem Tunnelblick eines Betrunkenen starrte er die Menschen auf den Bürgersteigen an. Miriam war nirgends zu sehen. Nach einer Linkskurve lief plötzlich ein Mann vor das Auto. Ralf erschrak und bremste scharf, bis die Reifen quietschend blockierten.
    Der Mann warf ihm einen irritierten Blick zu und lief zu einer aufgeregten Menge, die von allen Seiten Menschen anzog. Die Ambulanz stand mit geöffneten Türen davor. Ralf fuhr vorsichtig weiter, stellte das Auto ab und ging zögernd zurück. Das war kein Unfall oder Herzinfarkt, unter den Leuten grassierte eine Art Fieber. Sie starrten gebannt nach oben, also schaute Ralf auch, aber außer dem Dach eines fünfstöckigen Hauses und dem Sternenhimmel schien da nichts zu sein. Erst ein paar Schritte weiter sah er sie: Eine Frau kauerte auf dem Dach, Ralf musste an das Mädchen denken, das in der Diskothek so stumpfsinnig in die Lichter gesehen hatte. Gleichgültig ob sie es war oder nicht, er hatte nur einen Gedanken: Spring nicht. Bitte, spring nicht.
    In dem Moment sprang sie.
    Ralf wünschte sich augenblicklich, es nie gehört zu haben: das Geräusch, als sie auf den Steinplatten aufschlug. Der Aufprall war so heftig, dass die Erschütterung seine Beine zittern ließ und wie ein Echo in seinem Kopf hallte. Er konnte nichts sehen, nur dass die Sanitäter sofort zur Stelle waren. Einige Leute liefen hin, Ralf dagegen blieb stehen, er wollte weinen oder sich übergeben, aber er konnte keines von beidem, er konnte nur dastehen und darüber nachdenken, ob das tatsächlich sein Leben war, das da vor ihm ablief.
    »Ralf!«
    Jemand rief ihn. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Ralf, es sei Miriam. Es war Nicolette, sie stand nicht mal zwei Meter neben ihm.
    »Ist sie tot?«, fragte sie.
    »Ich weiß nicht.«
    Der Rettungswagen fuhr los, die Sirene heulte gegen die eines Polizeiautos an, das gerade ankam.
    Nicolette nahm Ralfs Arm. »Komm, wir gehen.«
    Sie kamen an dem düngertropfenden Mangobaum vorbei. Wieder standen zwei Autos darunter, beide bereits leicht gesprenkelt. Hätte er den Parkplatz nicht gesehen, wäre er mit Kristine jetzt wahrscheinlich im Motel, vielleicht sogar im Bett. Wie konnte Vogeldreck entscheidend für sein Leben sein - irgendwas stimmte da nicht. Hätte Miriam sich nicht an der Schiebetür verletzt, wäre sie da gewesen, als Kristine ankam, und es wäre nie so weit gekommen. Und hätte Kristine nicht beim Schlammcatchen die beiden Übernachtungen gewonnen, wäre sie nie nach Crocodylus gekommen. Was waren das für blöde Zufälle, ohne Linie, Richtung, Sinn.
    Ralf hatte gehofft, dass das Mädchen nicht springt, und wie gerne wäre er weiter mit Miriam durch Australien gefahren. Hoffnungen! Natürlich konnte man sich die Realität nicht zurechtwünschen - aber unterbewusst tat man es doch, immer wieder, und das Leben war einen Dreck wert, wenn es nicht funktionierte.
    »Ralf?«
    »Ja?«
    »Ich bin in einer Stunde mit Julian verabredet, aber ich weiß nicht so recht. Hast du zufällig eine Ahnung, ob er, na ja, ob er schon Erfahrungen mit Frauen hat?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Oh Gott.« Sie ging ein paar Schritte auf eine Bank zu und setzte sich. Ralf lief ihr nach.
    »Na und? Ist doch nichts Schlimmes, oder?«
    Nicolette zündete sich eine Zigarette
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