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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt
Autoren: Vladimir Ulrich
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meine Ferse jetzt unter einer riesigen, wäßrigen Blase förmlich zu ertrinken. An einem romantischen Rastplatz am Waldrand besah ich mir den Schaden, ließ das Wasser raus, klebte ein Pflaster darauf und hoffte das Beste. Aber es war mehr ein Zweckoptimismus, mir ahnte Böses. Blasen, so schnell und ausgerechnet in diesem teueren Schuhwerk? Ich war geknickt und enttäuscht. Zum Trost schickte der Herr ein Radlerpaar in scheckigen Gummihosen, das mir ein eiskaltes Coca Cola schenkte. Ausgerechnet die lästigen, lächerlichen Radler. Wie oft habe ich über sie gelästert. Aber ich hatte eine Schwäche für dieses Getränk, ich konnte nicht Nein sagen. Ich wollte nicht mal wissen, wo man so mitten im Wald ein eiskaltes Cola hernimmt. Ich war versöhnt. Neue Schuhe, es wird sich geben, dachte ich optimistisch und machte mich mit neuem Mut auf den Weg.
    Inzwischen flog vom Westen über die schwäbische Ebene eine große schwarze Wolke heran, und auf mich wartete noch der trickreiche Weg durch die Ammerschlucht. Zehn Kilometer lang durch einen steilen Hang über Brücken und Leiter teilweise mehr als hundert Meter hoch über dem Fluß. Romantisch, gewiß, aber gefährlich, wenn es naß wird. Im Regen sei die Schlucht um jeden Preis zu meiden, warnte der Führer, dann könne der Hang samt Mann und Steg hinunter gespült werden. Das machte mehr Eindruck als eine läppische Blase. In der rasch einsetzenden Dämmerung kletterte ich hektisch über die schlüpfrigen Pfade und Stege. Die Stimmung war düster, es roch modrig, tief unten lauerte der schmale Fluß auf den fallenden Wanderer und wetzte spitze Felsbrocken wie Krokodilzähne. Der Regen prasselte in die Baumkronen, die so dicht waren, daß kaum was durchkam. Doch die Bäche mit glattgescheuerten Granitböden spieen immer mehr Wasser in den Fluß. Wie große Wasserrutschen. Da hinein zu fallen, wäre nicht lustig, ein schneller Abstieg. Die neuen, steifen Profilsohlen rutschten über die nassen Holzbalken primitiver Brücken. So etwas gehöre verboten, schimpfte ich. Freilich gab’s auch eine Alternative – entlang einer Schnellstraße, besonders geeignet für Radfahrer und auch noch um etliche Kilometer länger. Im Regen klatschen die Autoreifen auf den nassen Asphalt wie überdimensionierte Ohrfeigen. Der Gedanke machte die Schlucht geradezu gemütlich. Außerdem sah der Herr auf mich: Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht. [5] Vierzig Kilometer weiter schlugen faustgroße Eisbrocken Bäume und Dächer zum Kleinholz, und der Sturm trug alles weg, was nicht niet- und nagelfest war – und häufig auch das. In diesem Jahr wuchs dort kein Obst mehr, wie ich später hörte. Ich aber erreichte noch vor der Nacht das Heim der Don-Bosco-Schwestern in Rottenbuch und labte mich an Leberkäse mit Bratkartoffeln. Sie waren sehr lieb zu mir, daß ich kaum Worte fand. Es tröstete mich über den Zustand meiner Ferse. Die Blase sah wieder schlimmer aus.
    Pater Gunther rief an. Der Jugendherbergsausweis, der zu spät kam, und den er mir unfrankiert nach Andechs nachschickte, sei endgültig verschollen. Es war für mich keine Überraschung. Nicht nachfrankiert! Einfach die nächste Adresse daraufgeschrieben und in den Briefkasten geworfen! So etwas nahm die Post echt übel. Früher stellte sie den Brief einfach an die nächste Adresse zu, später legte sie nach und kassierte vom Empfänger das Porto. Nun aber ließ sie die Sendung erst ein paar Wochen liegen und schickte sie dann an den Absender zurück. Ein fieser Rachezug eines Monopolisten! Kein Charme ist der Deutschen Post mehr geblieben. Und nicht nur ihr und nicht nur in Deutschland. Fünf Wochen später erreichte mich ein Anruf des Jugendherbergsbüros in Leipzig, der Ausweis sei zurückgekommen. Was sie denn damit tun sollten? Ich wußte etwas, was mit dem chronischen Toilettenpapiermangel der ehemaligen DDR zu tun hatte, aber ich sagte es nicht. Auf den Gedanken, mir fünfundzwanzig Euro zurück zu erstatten, kam die Dame am Telefon partout nicht. Sie wollte den Ausweis für mich aufheben. Das fand ich wirklich rührend und fürsorglich. Über das Mobiltelefon kostete mich es auch noch Gebühren.
Steingaden, km 256
    Am nächsten Morgen stand ich klamm und lahm in der Messe, doch immerhin guter Hoffnung. Es gab gutes Frühstück, und wie immer blieb noch genug übrig, um davon die Mittagsbrotzeit zu bereiten. Gut auch,
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